Lea - Untermieterin bei einem Vampir
umgibt, während es bei Camping in erster Linie um die Familie geht. Da wird man nicht von vielen Dingen außer Mücken abgelenkt.“ Er zwinkerte mir zu.
„ Ach, daran gewöhnt man sich auch“, erklärte Jenny.
Ich hatte da so meine Zweifel. Möglicherweise nahm man es Mücken weniger übel, wenn man selbst gern Blut saugte. Ich war halb erschrocken über diesen zynischen Gedanken. Ich hatte in den letzten Tagen nur selten so gedacht, hatte eher eine aufgeschlossene und zuneigungsreiche Seite für einen Vampir in mir entdeckt. Es war nicht lange her, dass ich bitter und abwertend geurteilt hatte. Dennoch kam es mir plötzlich so falsch und fremdartig vor, dass ich überrascht war.
Das zeigte mir deutlich, wie sehr sich meine Einstellung zugunsten von Vampiren verschoben hatte. Ich mochte sie deshalb nicht alle, mögen war ein zu starkes Wort; aber ich lehnte sie nicht mehr grundsätzlich als üble Kreaturen ab, deren persönliche Gefühle mich nicht scherten und die ich nach Belieben kränken konnte. Mein früheres Selbst kam mir mit einem Schlag recht grausam vor. Es war ein Wunder, dass Tom sich in so einer ungastlichen Atmosphäre in mich verliebt hatte. Ich fragte mich, was er eigentlich an mir fand, was er in mir sah.
Das Thema ließ mir keine Ruhe. Ich war nur noch halbherzig bei der Sache, kaute schweigend mein Frühstück. Schließlich legte Tom seine Hand auf meinen Rücken und fragte, ob wir aufbrechen wollten. Ich nickte dankbar und erhob mich mit ihm. Seinen Eltern murmelte ich einen Dank für die Bewirtung zu, ehe Tom meine Hand nahm und mich sanft fortzog. Er sah mich forschend an, sprach aber nicht. Schweigend gingen wir Hand in Hand zu unserem Zelt. Ich zog mir meine Laufschuhe an, um nicht ständig Kieselsteine und Baumrinde zwischen meine Flipflops zu bekommen, wenn wir nun den Wanderweg nahmen. Tom verstaute Getränke und Knabbereien in einem kleinen Rucksack, den er im Großen bei sich geführt hatte. Er schulterte ihn und sah mich lächelnd an.
„Starklar?“, fragte er.
Ich nickte und wir gingen los. Der Wanderweg führte an der Zufahrt zu unserem Campingbereich vorbei und so stießen wir schnell darauf und folgten ihm in südlicher Richtung, wo keine Zelte oder Häuser mehr standen. Hier und da sahen wir andere Camper auf dem Pfad.
Schließlich brach Tom das Schweigen. „Lea, was ist los?“
Ich nagte an meiner Unterlippe. „Tom, was findest du eigentlich an mir?“
Da er mich an der Hand hielt, blieb ich mit ihm stehen, als er plötzlich innehielt. Er sah mich perplex an. Dann schaute er nach links und rechts und schob mich spontan gegen einen der umstehenden Bäume. Er drückte mich sanft an die Rinde und ließ seine Hände an meiner Taille. Unverwandt betrachtete er mich und schüttelte schließlich den Kopf. Seine Linke gab meine Mitte frei und fünf Fingerkuppen legten sich an meine Schläfe.
„ Was geht nur hier drinnen in dir vor?“, fragte er ungläubig.
Ich sah ihn betreten an. „Tom, ich war immer gemein zu dir. Wieso magst du mich? Ich verstehe das einfach nicht.“
Er seufzte und neigte dann seinen Kopf zu mir hinab. Er umfasste mein Gesicht mit beiden Händen, rückte sonst aber nicht an mich heran, sondern hielt respektvoll Abstand.
„ Du hast zugegeben ein paar nicht ganz so optimale Seiten“, meinte er schmunzelnd. „Nichtsdestotrotz bist du bezaubernd. Du bist warmherzig. Ich habe gesehen, wie du mit Sarah umgehst. Ich habe dich später mit deinem Bruder gesehen. Ich habe gehört, wie du mit deinen Eltern und Freunden telefonierst. Und ich habe mir gewünscht, dass du mich auf dieselbe freudige Weise behandelst. Ich habe mich nach deinem süßen Lächeln gesehnt, das du für andere hattest, habe mir gewünscht, dass ich es eines Tages in dir auslösen könnte, der Grund für diese liebevolle Art an dir sein könnte. Du bist schlau, wenn du es auch gern dafür nutzt, bissig zu sein. Du hast Humor und Lebensfreude. Du bist so übersprudelnd lebendig, Lea. Dein Lachen ist unglaublich ansteckend. Du kümmerst dich um Menschen, die du magst. Dann wiederum kannst du auf so eine verführerische Art hilflos sein. Du bist wunderschön, energiereich und sinnlich. Ich mag es, wenn du errötest. Ich mag es, wenn du grübelst, wenn du verlegen bist, wenn du Empathie zeigst. Hundert Mal habe ich mir ausgemalt, wie du dich anfühlst und trotzdem hat mich unser erster Kuss völlig unvorbereitet getroffen. Danach habe ich pausenlos von deinen Lippen fantasiert. Du
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