Lea - Untermieterin bei einem Vampir
meiner Haut. Er verschränkte seine Finger mit meinen und massierte mit seinem Daumen meine Handfläche. Es kribbelte vorwitzig.
„Suchst du meine Lebenslinie?“, fragte ich angespannt. Sein Kopf kam meinem noch näher, als wollte er mir etwas Vertrauliches zuflüstern. Kurz vor meinem Gesicht stoppte seines.
„ Und Schneewittchen, stockt dir schon der Atem?“, raunte er.
Mein Hals war vom vielen Sprechen vollkommen trocken. Ich leckte über meine Lippen und Toms Blick ruckte von meinen Augen zu meinem Mund. Ich ließ meine Zunge wieder im Mund verschwinden, doch Tom betrachtete weiter meine Lippen.
„Wieso?“, fragte ich tonlos.
„ Weil ich zufällig gerade da bin und dir in diesem lächerlich kurzen fünf-Minuten-Zeitfenster meine Rettung anbieten könnte.“
Ich schluckte. „Die da wäre?“
„Ach Lea.“ Er lächelte etwas gequält und sah wieder in meine Augen. Ich spürte, wie seine Finger mein Haar losließen und seine Fingerkuppe hauchzart über meine Wange glitt. Sein Blick flackerte, als er etwas heiser sagte: „Wie wurde Schneewittchen denn gerettet?“
„ Tom...“ Meine Wangen liefen rot an. Ich spürte, wie die Wärme durch mein Gesicht schoss.
„ Nur weil du dich nicht ans Drehbuch hältst, heißt das ja nicht, dass ich es auch lasse“, wisperte er. Seine Stimme klang wie der Wind. Ich musste an das magische Rascheln der Blätter im alten Eichbaum von Toms Eltern denken, als er mir die Legende vom Prinzessinnenhaar erzählte. Ich erinnerte mich daran, wie seine Finger durch das Moos streichelten und wusste, dass er mein Haar genauso berührt hatte. Ich nahm mit einem Schlag sehr deutlich meinen Atem wahr. Mein Brustkorb hob und senkte sich. Atmen.
„ Im Drehbuch wird Schneewittchen aber von einem Prinz geküsst. Nicht von Dracula“, räumte ich atemlos ein. Toms Blick wurde finster, seine Stirn krauste sich und er lehnte sich zurück und nahm dabei seine Hände mit sich fort. Meine Wange und meine Hand fühlten sich plötzlich ziemlich kalt an.
„ Verstehe. Schneewittchen lässt sich von keinem Vampir küssen“, sagte er bitter.
„ Was?“, stammelte ich irritiert und blinzelte.
„ Habe es schon verstanden, Lea.“ Das Funkeln in seinen Augen war erloschen. Er sah aus, als hätte ich ihn geschlagen. Ich sah automatisch auf seine Zähne. Schlagartig fielen sie mir wieder auf. Ich war seltsam befremdet darüber, dass ich sie eben vergessen hatte. Sie waren mir nicht aufgefallen, obwohl ich doch sonst nichts anderes an Tom sah. Mit einem Mal kehrten die Geräusche um uns herum zurück. Ich hörte andere Pärchen kichern und sich unterhalten. Nur zwischen Tom und mir stand eine Mauer des Schweigens. Die unbekümmerte Art der anderen Gäste erschien mir plötzlich unerreichbar. Ich fühlte mich auf unbestimmte Weise elend.
„ Tom, so meinte ich das gar nicht“, versuchte ich zu erklären.
Gong , hämmerte es in meinem Schädel.
Tom schoss von seinem Stuhl hoch und setzte sich zu Sarah, bevor ich noch ein einziges Wort sagen konnte. Als der Mönch vor mir Stellung bezog, nahm ich ihn kaum wahr. Er stellte sich als Ray vor. An mehr erinnere ich mich nicht.
In mir herrschte nur Chaos. Wieso war Tom so sauer? Warum hatte ich überhaupt ein so mieses Gefühl dabei? Ich hatte Tom schon ein Dutzend Mal vor den Kopf gestoßen. Seit wann störte mich das? Wieso rechtfertigte ich mich überhaupt dafür, keinen Vampir küssen zu wollen? So ein Scheibenkleister. Ein eigentlich schöner Abend hatte mit einem Schlag Schiffbruch erlitten und mich kalt erwischt. Eine Welle eisigen Wassers schlug über mir zusammen, als ich zu Tom hinüber blickte. Er sah mich finster an. Weder beachtete ich den Mönch, noch kümmerte Tom sich um Sarah. Kaltes Schweigen waberte zwischen uns. Auch ohne Worte verstand ich die tiefe Kluft, die uns beide auseinander hielt.
Ich hatte doch Recht gehabt. Diese dumpfe Ahnung, die mich beschlichen hatte, war echt. Tom wollte tatsächlich etwas mehr. Oder nicht? Ich war so verwirrt. Hatte er mit mir geflirtet? Ich wusste nicht mehr, was echt war und was Einbildung. Ich wusste nicht mehr, ob Tom und ich nun ein Problem hatten oder nicht. Im Augenblick – offensichtlich – war er sauer. Aber verflog diese üble Laune wieder? Hatte ich ihm vielleicht nur temporär einen Tritt auf seinen Fuß verpasst?
Der Mönch ging, ohne dass ich mit ihm gesprochen hatte und auch Tom stand unvermittelt auf und lief weiter. Er schaute mich nicht mehr an, sondern widmete sich
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