Lea - Untermieterin bei einem Vampir
schlagen mögen.
Gleichzeitig fühlte ich mich hundeelend, da der kalte Blick und der freudlose Mund mein Werk waren. Ich hatte ihn einmal mehr als Vampir gekränkt. Es stieß mir sauer auf zu sehen, dass Cleopatra Toms Gemüt reparieren wollte, während eigentlich ich das tun sollte. Doch ihr bohrender Finger raubte mir Toms Aufmerksamkeit. Eine gewaltige Entfernung schoss zwischen uns, als er fort sah. Aus fünf Metern war ein Lichtjahr geworden. Es musste an Einstein und den beiden Raumschiffkapitänen in diesem Zimmer liegen, dass dies möglich war. Gleichzeitig katapultierte mich der Abriss unseres Blickkontakts zurück in Wolfs Arme. Für einen Moment hatte ich seine Gegenwart völlig vergessen.
„Lea?“
„ Ja?“
„ Was hat dich irritiert?“
Ich brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass er nicht das Intermezzo mit Tom meinte, sondern sich auf meine vorherige Andeutung bezog. Es dauerte noch weitere zwei Sekunden, bis mir unser Thema und mein Gedankengang wieder einfielen.
„Ich habe mich nur gefragt, ob denn hier keine anderen Damen… na ja, also…“
„ Ob ich mit keiner anderen meine Zeit verbringen will?“, versuchte er meine Worte zu erraten.
„ Ja.“
„ Nein“, gestand er.
Pump-pump. Mein Herz beschleunigte sich wieder.
Der Tanz endete und Colin stand bereit, unser Date nachzuholen. Was für ein denkbar ungünstiger Moment! Wolf lächelte mich etwas verloren an und verschwand zur Musikstation. Als er ging, blickten einige Frauen ihm nach. Meiner, dachte ich stolz. Gleichzeitig konnte ich mir das mit dem süßen Colin eigentlich sparen. Nur das wäre unhöflich, und so ließ ich mich von ihm zu einem Tanz entführen. Er war nicht ganz so groß wie Wolf. Ich konnte meine Arme bequemer parken. Außerdem war ich nicht so verspannt, denn Colin wollte ich nicht so von mir überzeugen wie Wolf. Nichtsdestotrotz erwies er sich als recht enthusiastisch. Ich deutete mit einer Kopfbewegung zu Sarah, die Runde zwei mit Ronny einleitete.
„ Die beiden sind hübsch zusammen, nicht?“, meinte ich.
Er schüttelte den Kopf und ich sah ihn fragend an.
„Es geht hier nicht um die beiden“, informierte er mich. „Dieser Tanz ist für uns, Lea. Dieses Mal will ich nur von dir und mir sprechen.“
Mir schwanden beinahe die Sinne. Hatte ich etwas nicht mitbekommen? War ich heute früh im Café mit Kyle in der River Street von irgendwem mit Männer lockenden Botenstoffen bestäubt worden? Es war nicht so, dass ich sonst nicht bei Männern ankam, aber in solch einer Konzentration war es bemerkenswert. Und wie jede Überdosis versetzte auch diese mich in einen surrealen, alltagsfremden Zustand. Vielleicht lag es daran, dass wir kostümiert waren, keiner war wirklich er selbst. Ich fühlte mich fast mehr wie Schneewittchen als wie ich, Lea. Noch eine Stunde und ich würde paranoid über die Schulter blicken und wahrhaft glauben, eine rachelüsterne Stiefmutter käme mich heimsuchen, während kleine Zwerge sich über das Buffet hermachten. Wobei mir in diesem Moment klar wurde, dass ich außerdem eine Tanzreservierung von Pinocchio hatte, bei dem dies tatsächlich Thema sein könnte.
Was war hier nur los? All diese abstrusen Gespräche. Ich konnte wirklich etwas Luft und einen klaren Kopf gebrauchen. Das war umso wichtiger, da ich noch etwas mit Tom ausbügeln musste. Seinem Blick nach, wie ich ihn eben erhascht hatte, stand mir echte Knochenarbeit bevor. Sein zusammengepresster Mund verhieß nichts Gutes. Es war, als existierte das kosmische Kräftegleichgewicht in einer analogen Sympathieformel. So sehr mich Pinocchio, Colin und Wolf verehrten, so sehr hatte ich an positiver Energie bei Tom eingebüßt.
Zuviel, dachte ich erschöpft. Das war einfach zu viel. Dieser Abend war zu komprimiert, zu ereignisreich, zu dicht von Kuriositäten durchdrungen, und kleine Sektbläschen wirbelten und schäumten durch meine Großhirnrinde.
„ Alles okay bei dir?“, fragte mich Colin.
„ Mir ist etwas schwindlig“, erklärte ich. „Aber es geht schon.“
„ Ich bin ja froh, wenn ich diese Wirkung auf dich habe, aber falls du es gar nicht aushältst, sagst du Bescheid“, erklärte er fürsorglich.
Ich lächelte schwach und dankbar. „Mach ich.“
Sacht und behutsam drehte Colin mit mir über den Tanzboden und wir schwebten auf einer Wolke von Musik dahin. Er war leichtfüßig, doch er hielt mich nicht so… energisch wie Wolf. Bei Colin wurde ich nicht so dominant geführt. Schade eigentlich.
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