Lea - Untermieterin bei einem Vampir
wieder zuklappen, um zurück zu tauchen in das echte Leben. Doch das funktionierte nicht. Man konnte Küsse nicht auf- und zuklappen und herausholen wie ein Buch und darin wegsperren, wenn man fertig war und sie in diesen Momenten isolieren, die keinerlei Bedeutung im Diesseits hatten. Tom erkannte mein Zögern, meine Zweifel und nickte begreifend. Er sah zu Kyle und Sarah hinüber.
„ Na ihr Zwei, wie wäre es denn jetzt mit dem Filmabend?“, erkundigte er sich ganz Gastgeber.
Ich hörte seine gutgelaunte Stimme, aber spürte seinen angespannten Körper unter meinen Fingern, der mir mehr als seine Worte verriet, dass Tom genauso zerrissen war wie ich, wenn wir versehentlich den Kussmomenten entgegen strebten wie Irrlichter.
Die beiden nickten und lösten sich aus ihrem Tanz. Mir fielen Sarahs rosige Wangen und ihre strahlenden Augen auf. Der enge Tanz mit Kyle hatte ihr gut gefallen. Obwohl Kyles Miene wesentlich unergründlicher war, war ich doch lange genug seine Schwester, um die Bedeutung darin zu erkennen. Auch meinem Bruderherz gefiel der Abend gut. Ich fing einen flüchtigen Blick von ihm auf, den er auf Sarah warf und der mir mehr als deutlich ein innerliches Jauchzen durch den Körper trieb. Denn Kyle betrachtete Sarah auf eine Weise, wie ein Mann eine Frau ansah und nicht wie ein großer Bruder die beste Freundin der kleinen Schwester Bunny.
Ihm war aufgefallen, wie gut Sarah aussah. Er musste ihren tollen Duft gerochen haben, so wie ich Toms wahrgenommen hatte. Toms Geruch war sehr aufregend. Da war die Pasta, unser gemeinsam verwendeter Weichspüler, sein aufreizendes Deo und vor allen Dingen die herbe Note auf seiner Haut, die ich seit unseren Küssen kannte und die sich seit meiner Knabberei im Supermarkt an der nackten, seidig glatten Haut seines Halses in mein Hirn eingebrannt hatte. Ich wusste nicht nur, wie er – Tom selbst – roch, sondern auch, wie seine Lippen und seine Haut schmeckten. Dafür gab es nur eine einzige Zusammenfassung: Verdammter Scheibenkleister!
Tom zog mich zu unserer Zweiercouch und schlenderte dann zum Fernseher. Sarah und Kyle kuschelten sich in die Polster neben uns, doch wir hatten einen halben Meter Platz dazwischen geschoben, damit es noch gesellig, aber isoliert wie eine Liebesinsel wäre.
Tom legte eine DVD in den Player und kam mit der Fernbedienung zu mir zurück. Er setzte sich und öffnete seinen Arm für mich, damit ich mich an ihn lehnen könnte.
„Na komm, Angst bunny. Ich passe auf dich auf.“
Kyle grinste. Dann erkannten wir, welchen Film Tom eingeworfen hatte und mein Bruder fand die Auswahl gelungen. Sarah dagegen blinzelte etwas merkwürdig. Es war eine lustige Vorahnung in ihrem Ausdruck zu lesen, der von der Mischung aus Beklommenheit wegen der zu erwartenden Gruseleinlagen als auch der Vorfreude, sich bei Kyle in Sicherheit bringen zu können, resultierte. Ich hatte Tom falsch eingeschätzt.
„Ich dachte schon, du würdest Dracula einwerfen“, sagte ich zu ihm und lehnte mich in seine Armbeuge. Tom zog eine weitere Schüssel Popcorn vom Beistelltisch und platzierte sie vor uns.
„ Ihr könnt euch an dem ganzen Süßkram bedienen“, bot er unseren Gästen an. Dann lächelte er und flüsterte in mein Haar. „Nicht doch, ich will das Vampirthema gewiss nicht überstrapazieren, Bunny.“
Im Moment wurde eigentlich nur mein Spitzname überstrapaziert. Merkwürdigerweise machte mir das Vampirthema nicht mehr so viel aus, wie sonst. Zumindest hatte ich gelernt, darüber zu reden.
„Außerdem“, fuhr er tuschelnd fort. „Wer will sich schon die ganze Zeit Familienfilme ansehen? Das ist wie ermüdende Urlaubsdias.“
Ich musste kichern, rückte aber gleichzeitig etwas näher an Tom, als mich die gruselige Atmosphäre und die bedrückenden Klänge von From Hell einhüllten. Zudem erleuchtete nur eine einzige flackernde Kerze das Zimmer, um die Stimmung nicht zu lösen. Wem machte ich eigentlich etwas vor, wenn ich versuchte mir einzureden, dass kuscheln vereinbar mit Freundschaft war? Ich wusste es nicht, aber ich beschloss, erst morgen eine Antwort darauf zu finden. Morgen klang vernünftig. Morgen wäre keine solche Spaßbremse. Morgen ließ mir Zeit, darüber zu schlafen, während ich jetzt schwelgen konnte.
„ Was noch?“, fragte mich Tom flüsternd.
„ Was meinst du?“
„ Ich habe zwei Filme rausgesucht. Was dachtest du wäre der Zweite?“
Ich zuckte mit den Achseln. „Vielleicht Interview mit einem Vampir. Oder
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