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Lea - Untermieterin bei einem Vampir

Lea - Untermieterin bei einem Vampir

Titel: Lea - Untermieterin bei einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Winter
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mich schließlich sogar, ob er mir die bösen Geister aus den Träumen vertreiben und bei mir bleiben solle.“
    Ich machte überrascht die Augen weit auf. Mein Bruder war ein echter Draufgänger. Wer hätte das gedacht? Nun ja, eigentlich hatte ich mir das schon gedacht. Er fand bisweilen wunderschöne Begriffe, die aus einfachen Worten eben mehr als nur eine klanglose Aneinanderreihung von Sätzen formen konnten. Ich will es keine Symphonie nennen, aber Kyle war – wenn er wollte – außergewöhnlich eloquent, beinahe lyrisch. Das war selten bei Männern. Ich hatte es stets an ihm gelobt, um ihn zu ermutigen, es weiter gedeihen zu lassen.
    Als wir klein waren – es war um dieselbe Zeit, als ich das erste Mal von ihm Bunny gerufen wurde – schrieb Kyle mir Gedichte. Wir hingen dann oft mit den Beinen verkeilt kopfüber von den Bäumen und schaukelten, bis uns alles Blut ins Gesicht gelaufen war. Dann stand unsere Welt Kopf; nur wir beide nebeneinander waren füreinander noch richtig herum. Wir kicherten und lachten und Kyle begann zu dichten. Anfangs waren es flüchtige Kinderreime, die in etwa so klangen:
    „ Die Eiche ist groß, meine Schwester ist klein, wir hängen verkehrt rum, so muss es sein.“ Oder: „Bunny, mein Bunny, wir hängen im Baum, mit dem Kopfe nach unten wird alles zum Traum.“
    Später reimte er dann aber tiefsinnigere und schönere Gedichte für mich, die er mir auch zu unseren Geschwistertagen schenkte. Die waren immer sonntags, denn ich war an einem Sonntag geboren, und damit war es jener Tag der Woche, der uns zu Geschwistern gemacht hatte. Aus dem Einzelkind Kyle war ein großer, liebender Bruder geworden, der mich behütet hatte, seit er mich das erste Mal erblickte und selbst noch winzig kleine drei Jahre alt war.
    Kyle brachte mir all seine Spielsachen, trug mir immer seine Kuscheldecke nach, damit ich es weich und bequem hätte. Stundenlang streichelte er meinen Kopf und gab mir Küsschen auf die Stirn. Tagein, tagaus zählte er meine Finger ab, wusste Schüttelreime über Daumen und Pflaumen zu erzählen und wurde nie müde, mich lieb zu haben. Für Kyle war ich immer sein Ein und Alles und später sein Bunny.
    Er beäugte all meine Freundinnen, ob sie auch gut genug für mich wären, verprügelte jeden, der mich ärgerte, als er nicht älter als fünf war. Später war er dann weniger rüpelhaft und vertrieb mit der Macht seiner Worte und seines Scharfsinns jeden Fiesling von mir. Er hatte all meine Freunde geprüft und ich war wohl in der zweiten Klasse, als Rick Simmons mich küssen wollte und Kyle ihn am Ohr packte und von mir fortzog. Ich gebe zu, ich war nicht immer begeistert von Kyles Beschützerinstinkt. Umso mehr hatte es wohl zu bedeuten, dass er Tom gestern sein Okay gegeben hatte. Tom mochte das vielleicht für unnötig erachten, aber wenn man Kyle nicht kannte und nicht wusste, wie sehr er mich liebte und behütete, dann konnte man wohl kaum ermessen, was das für ein Zugeständnis war.
    „ Es war einmal der Himmel, er war hoch, er war klar;
    eine sternenlose Nacht schien er immerdar.
    Kein Mond, keine Wolke befleckte sein Wesen,
    nur Reinheit und Weite ließen sich in ihm lesen.
    Wenn die Leute nun raufschauen, sehen sie es funkeln,
    allüberall leuchten die Sterne im Dunkeln.
    Doch was keiner mehr weiß war die Stunde ihres Beginns,
    sie waren ein Zeugnis meines schönsten Gewinns.
    Denn für mich begannen sie erst zu scheinen,
    als in einer kleinen Wiege ertönte ein Weinen.
    Es durchdrang die Nacht wie ein stiller Ruf,
    trug seinen Schall auf schnellem Huf.
    Der Himmel bekam Sterne wie Augen zum Staunen,
    und ihr Strahlen war wie ein kosmisches Raunen.
    Es war die Nacht, als ich Lea erhielt,
    und ihr jedes Gran Liebe meines Herzens verriet.
    Für dich meine kleine Bunny, dein ewiger großer Bruder Kyle.“
    Ich musste schlucken als ich mich erinnerte, wie Kyle es mir geschenkt hatte, als er fünfzehn war und ich zwölf. Er hatte mir lange einreden wollen, dass Sterne erst seit meiner Geburt am Firmament flammten, dass selbst die Sonne seither heller schien. Mein wunderbarer Bruder hatte nun nach langer Zeit eine Freundin gefunden, die ihn sicher völlig in sich verliebt machen würde. Möglicherweise dichtete Kyle bald für Sarah, aber ich würde dennoch sein Bunny bleiben und er hätte eben zwei Frauen lieb.
    Ich betrachtete Sarahs verschleierten Blick, als sie sich wohl an ihre gemeinsame Nacht zurück erinnerte und begriff, dass die Liebe, die er Sarah

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