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Lea

Titel: Lea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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zu ordnen. Ein Bruch mit Lévy. Ein Bruch, der so weit ging, daß sie ihm die Geige zurückgegeben hatte. Er versuchte, ehrlich mit sich zu sein. Die Erleichterung nicht zu leugnen. Das also war zu Ende. Doch was nun? War das auch das Ende ihrer Karriere, ihres Lebens als Musikerin? Man würde sehen und vor allem hören, daß sie nicht mehr auf der Amati spielte. Die Geige aus St. Gallen füllte keine Konzertsäle. Und einmal abgesehen davon: Wer würde jetzt die Konzerte für sie arrangieren?
    Er vergaß, die Schlaftabletten zu verstecken. Lea fand sie, aber es waren nur noch wenige in der Packung. Als er es merkte, weckte er sie, kochte Kaffee und ging mit ihr auf und ab, durch die ganze Wohnung. Das Mittel hatte die Schranken der Zensur niedergerissen, und nun brach es aus ihr hervor, roh, rauh und unzusammenhängend. Lévy hatte ihr seine Braut vorgestellt. »Titten und Arsch!« schrie Lea mit belegter Stimme. Sie würde Lévy scharf machen und abzocken, weiter nichts. Es fiel Van Vliet schwer, die Worte für mich zu wiederholen, er hatte gezögert, und es war klar, daß noch ganz andere Dinge aus Lea hervorgebrochen waren. Der Vater, auf der Gasse aufgewachsen, war verstört zu hören, wie ordinär seine vergötterte Tochter sein konnte. Er merkte: Er hatte sie sich als eine Fee vorgestellt, eine Charakterfee, der alles Unflätige und Gewöhnliche fremd wäre. Und noch etwas verstörte ihn, etwas, das ihn schon beim Konzert in Genf gestört hatte, als Lea dem Konzertmeister die Hand schüttelte: daß sie Dinge tat, die so genau vorhersehbar waren. Denn ihre wüsten Beschimpfungen mit dem immer wiederkehrenden putain waren so schematisch und vorhersehbar wie die Eifersuchtsorgien in einer Seifenoper. Nach der rasenden Autofahrt von Neuchâtel nach Bern hatte er es genossen, seine weinende Tochter in den Armen zu halten. Jetzt, da er sie durch die Wohnung schleppen mußte, spürte er das erste Mal seit ihrer Geburt einen Widerwillen beim Berühren des schläfrigen Körpers, aus dem all diese unflätigen und vorhersehbaren Dinge kamen.
    Ich dachte daran, wie ich Leslie das erste Mal shit und bitch sagen hörte. Es war vor dem Fernseher, und auch ich zuckte zusammen. »Growing up« , sagte Joanne und lächelte.
    »Die meisten Dinge, die wir sagen, sind vorhersehbar«, sagte ich.
    Van Vliet zog an der Zigarette und sah auf den See hinaus. »Kann sein«, sagte er. »Geht vielleicht auch nicht anders. Trotzdem: Daß sie lauter Dinge sagte, die ihr irgendein besoffener Drehbuchschreiber hätte in den Mund legen können – es war schrecklich, einfach abscheulich. Es war, als schleppte ich irgendein beliebiges junges Mädchen durch die Wohnung, und gar nicht Lea. Es war doch auch so schon viel Fremdheit zwischen uns. Warum jetzt auch das noch.«
    Jahre später, als Lea schon im Hospiz von Saint-Rémy und in der Obhut des Maghrebiners war, rief Van Vliet Lévy an und bat ihn um ein Gespräch. Wie beim ersten Anruf zuckte er zusammen, als er das »Oui?« der melodiösen Stimme hörte. Doch jetzt machte er weiter, und dann fuhr er nach Neuchâtel. Lévy und seine schöne, junge Frau, deren Gemälde an den Wänden hingen und die in nichts der Frau glich, von der Leas tablettentrunkene Stimme gesprochen hatte, erzählten von dem dramatischen Moment, in dem Lea beinahe eine Million Dollar vernichtet hätte. Sie hatte die Amati-Geige in der Hand, als Lévy ihr seine Braut vorstellte.
    »Ihr Blick … ich muß es geahnt haben«, sagte Lévy, »denn ich machte ein paar Schritte auf sie zu. Und so konnte ich gerade noch ihr Handgelenk packen, bevor sie die Geige wegschleudern konnte. Es war der letzte, der allerletzte Moment. Sie ließ die Geige los, und ich bekam das Instrument mit der anderen Hand zu fassen. Es ist mehr wert als all das hier«, und er machte eine Bewegung, die das ganze Haus einschloß.
    Auf der Rückfahrt dachte Van Vliet daran, wie seine kleine Lea nach dem Fehler beim Rondo die Geige am liebsten ins Publikum geschleudert hätte. Auch an die Platte von Dinu Lipatti dachte er, die sie zum Fenster hinausgeworfen und deren Hülle auf dem Asphalt so schrecklich gescheppert hatte.
    Jetzt aber ging es erst einmal darum, jeden Tag zu nehmen, wie er kam. Es galt, die Millionen zu verwalten, die er mit seinem Coup lockergemacht hatte. Gerade jetzt konnte er es sich nicht leisten wegzubleiben. Ruth Adamek würde jede Gelegenheit zur Rache nutzen. Mehrmals am Tag rief er zu Hause an und vergewisserte sich, daß Lea keine

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