Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)
und fernen Bekannten und Freunden verfügte. Zu ihren zwei Mal im Jahr stattfindenden Atelierfesten kamen vierzig oder fünfzig Gäste.
»Dabei habe ich nur den engsten Kreis eingeladen«, betonte sie jedes Mal.
Wenn sie Thal fragte, welche seiner Freunde sie auf die Gästeliste schreiben sollte, zuckte er mit den Schultern. Nur ein Mal, das war jetzt fast vier Jahre her, hatte er, mehr um Leah eine Freude zu machen, Bettina Berg vorgeschlagen. Er hielt schon damals große Stücke auf sie. Er zweifelte, ob sie die Einladung annähme, hielt es aber für eine Möglichkeit, ein bisschen mehr über sie zu erfahren. Bisher hatte sie sich bei gelegentlichen, eher beiläufig gestellten Fragen nach ihrem Privatleben recht zugeknöpft gezeigt.
Es war das Ateliersommerfest vor vier Jahren, das Wetter war prächtig, und Bettina erschien in einem atemberaubenden Etuikleid. Mit Ausnahme der Schwulen scharrten sich alle Männer augenblicklich um sie und begannen mit ihren Balzritualen. Am anderen Morgen erzählte sie ihm auf der Fahrt zu einem Zeugen mit gespielter Entrüstung, dass sechs Maler sie geradezu angefleht hätten, ihnen Modell zu stehen.
Thal antwortete lachend: »Die meinten sicher keine züchtigen Historienbilder in wallenden Gewändern.«
»Du glaubst doch nicht etwa ...?«
»Und ob! Aktbilder wollen sie malen, meine Liebe. Ich kenne die Künstlerfreunde meiner Frau.«
Noch einen Tag zuvor wäre ein solch fröhliches, mit Neckereien verbundenes Gespräch unmöglich gewesen. Die besondere Atmosphäre von Leahs Atelierfest hatte alles verändert. Dabei war Alexander Thals Sohn Tobias am meisten von Bettina fasziniert. Er wich den ganzen Abend nicht von ihrer Seite. Sein Vater beobachtete das amüsiert, denn Tobias fragte Bettina ohne Scheu über ihr Privatleben aus. Bei einem Glas Sekt plauderte sie über ihren Vater Claus Berg, der bei ihrer Geburt erst achtzehn Jahre war. Er hatte ihre Mutter Ursula bei einer Griechenlandreise kennengelernt, von der sie schwanger zurückkehrte. Die beiden heirateten nach ihrer Rückkehr und wohnten in Claus’ elterlicher Wohnung in Hamburg. Bettinas Mutter studierte Deutsch und Geschichte, ihr Vater machte vier Jahre später ein ausgezeichnetes Examen in Physik. Zwei Jahre danach promovierte er und folgte seinem Professor als Assistent nach Manchester. Die ersten vier Jahr ging Bettina in England zur Schule, ehe die Familie nach Köln übersiedelte, wo ihr Vater eine Honorarprofessur angeboten bekam. Sechs Jahre später folgte der Ruf auf eine ordentliche Professorenstelle in Konstanz. Die Familie kaufte sich ein schönes Eigenheim auf der Insel Reichenau, und Bettina machte Abitur. Ihre berufliche Laufbahn kannte Thal aus ihrer Personalakte: Studium an der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen, dann erste Stelle in Mannheim. Sechs Jahre später wurde sie als Kriminaloberkommissarin nach Konstanz versetzt.
Tobias Thals Wissbegierde war damit aber noch nicht gestillt, ihn interessierte, wo diese bezaubernde Kollegin seines Vaters wohnte. Zum ersten Mal stockte Bettinas Redefluss für einen kurzen Moment, ehe sie zugab, in Dettingen zu wohnen.
»Wie hältst du es in diesem Kaff aus«, entrüstete sich Tobias. Leah, die als gute Gastgeberin ständig von einem Grüppchen zum anderen wechselte und sich erst kurz zuvor auf die Lehne von Bettinas Stuhl gesetzt hatte, blies in das gleiche Horn: »Das Beste an Dettingen ist die Linie 13 – damit ist man schnell in der Stadt.«
Bettina Berg konterte lächelnd:
»Ich nehme lieber die 4. Da hat man die schönere Aussicht auf den See.«
Gleich darauf lächelte sie Leah an und sagte:
»Sie haben recht, ich bin schon lange auf der Suche nach einer Wohnung im Zentrum. Aber Sie wissen ja, wie das ist: Die Wohnungen, die mir gefallen, kann ich mir nicht leisten, und die Wohnungen, die ich mir leisten kann, gefallen mir nicht.«
Alle Zuhörer kannten die horrenden Mieten, die in Konstanz verlangt und bezahlt wurden, und pflichteten ihr bei.
Erst später erfuhr Thal, dass Bettina die Wohnung im Vorortkaff fünf Jahre zuvor mit ihrem damaligen Freund gekauft hatte, mit dem sie bereits seit ihrer Schulzeit zusammen war. Als die Beziehung mit einem gewaltigen Theater endete, wollte sie nicht noch einen finanziellen Verlust einstecken, der ihr bei einem Verkauf gedroht hätte.
Thal war so in seine Erinnerungen an jenen unbeschwerten Abend versunken, dass er nicht merkte, welcher Lärm auf der Straße herrschte. Der
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