Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)
Graveur in Konstanz ihren Schriftzug anbringen lassen. Den Gedanken, unter ihrem Namen eine Serie mit Accessoires herauszubringen, verwarf sie bald. Sie war Künstlerin, keine Geschäftsfrau. Thal wollte die Fahrt nutzen, sich auf das Gespräch mit Jason Kaufman vorzubereiten. In den acht Jahren, die er Leahs Assistent an der Kunstakademie war, hatte Thal ihn zwei oder drei Mal gesehen. Er fand ihn sympathisch. Leah hatte ihm seine Geschichte erzählt. Jason Kaufmans Großvater schrieb seinen Nachnamen noch mit zwei N. Er war Buchhändler und Antiquar, darüber hinaus anerkannter Experte für Erstausgaben des 18. Jahrhunderts. 1938 floh er, der deutsche Jude, überzeugte Patriot und dekorierte Weltkriegskämpfer, mit seiner gesamten Familie, darunter Jasons Vater Daniel, zunächst nach Frankreich und von dort in die USA. Er ließ sich in Detroit nieder, wo er ein Antiquariat eröffnete, das mehr schlecht als recht lief. Sein Sohn Daniel, der bei der Auswanderung zwei Jahre war, wandte sich später einem lukrativeren Geschäft zu. Er handelte mit Immobilien und gründete mit der »Kaufmann Real Estate Ltd.« eine der erfolgreichsten Immobilienagenturen der USA, die bald Büros in allen wichtigen Städten unterhielt. Daniel heiratete eine Frau aus dem mittleren Westen, deren Familienstammbaum bis zu den Pilgrim Fathers zurückverfolgt werden konnte. Mit der Hochzeit strich er ein N aus seinem Namen und nannte seinen Sohn Jason. Trotz seines amerikanischen Vor- und Nachnamens und seiner Vorfahren mütterlicherseits interessierte sich Jason brennend für das ferne Land, aus dem sein Großvater stammte. Mit neunzehn Jahren reiste er nach Europa und blieb. Er schrieb sich an der Münchener Kunstakademie ein und machte dort als einer der ersten Meisterschüler der jungen Professorin Leah Braasch Examen. Als er fast zwei Jahre später von einer Weltreise zurückkam, stellte ihn Leah als ihren Assistenten ein. Die Arbeit gefiel Jason Kaufman so gut, dass er nicht versuchte, woanders Karriere zu machen.
Kaufman nahm Leah alle administrativen Arbeiten ab, die mit einer Professorenstelle verbunden waren. Außerdem leitete er einige Grundkurse und Arbeitsgruppen, so konnte sie sich auf ihre Kunst und ihre Meisterschüler konzentrieren. Wenn die Fotos tatsächlich von Leahs Werken oder ihrer Lehrtätigkeit beeinflusst waren, konnte Kaufman ihm sicher weiterhelfen. Und wer, wenn nicht er, müsste einen Studenten namens Viktor Speer kennen.
Das Schiff verlangsamte seine Fahrt, in ein paar Minuten war das Ziel erreicht. Friedrichshafen war nach Konstanz nur die zweitgrößte Stadt am Bodensee, hatte aber beste Chancen auf den Titel der hässlichsten. Im Krieg schwer zerstört, hatte sie nicht annähernd den Charme der großen Schwester mit ihren verwinkelten Altstadtgassen und repräsentativen Bürgerhäusern. Da nutzten auch die vielen Kultur- und Freizeiteinrichtungen nichts, die aus der Stiftung der reichen und berühmten Unternehmerdynastie Zeppelin finanziert wurden. Nicht einmal den Grafen Zeppelin hatten sie für sich allein, schließlich erblickte er in Konstanz das Licht der Welt.
Thal verließ den Katamaran und wandte sich auf der Uferpromenade nach links. Der alte Hafenbahnhof, der heute das Zeppelinmuseum beherbergte, lag nur wenige Schritte entfernt. Er stieg in den ersten Stock und betrat das Museumscafé. Nur zwei Tische waren besetzt. An einem unterhielten sich vier Frauen angeregt miteinander und steckten die Köpfe zusammen, als beratschlagten sie einen bedeutsamen Plan. In der hintersten Ecke des Raumes saß Jason Kaufman und erhob sich, als er Thal auf sich zukommen sah.
»Guten Tag, Herr Kaufman. Vielen Dank, dass Sie herkommen konnten. Ich hoffe, ich habe Ihnen nicht zu viel Mühe gemacht.«
Kaufman ergriff die ihm entgegengestreckte Hand und umfasste sie mit beiden Händen.
»Bitte nennen Sie mich Jason. Wie geht es Ihnen nach diesem furchtbaren Verlust?«
»Ich versuche, es in den Griff zu bekommen.«
Jason Kaufman nickte. Thal hatte das Gefühl, dass er genau wusste, was er meinte. Beide schwiegen, bis Thal bei der Kellnerin ein Mineralwasser bestellt hatte. Kaufman hatte eine halb geleerte Tasse Milchkaffee vor sich stehen.
»Sie klangen geheimnisvoll am Telefon, Herr Thal. Ich bin neugierig, was Sie von mir wissen wollen.«
Er lebte schon lange in Deutschland, hatte aber seinen amerikanischen Akzent nie verloren. Obwohl seine Stimme deutlich jünger und ein paar Töne höher war, klang er so, wie
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