Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)
Frohnatur, was?«
Speer verstärkte den Griff, mit dem er die Polizistin hinter sich her zog. Scheiße, auch das noch. Aus einer Seitengasse näherte sich lärmend eine Gruppe Giraffen. Die langen Stoffhälse baumelten in der Luft.
Speer lehnte Bettina Berg gegen eine Hauswand. Er schob sein Knie zwischen ihre Beine, damit sie nicht an der Wand entlang nach unten rutschte.
»Hey Bär«, rief einer der Männer aus seinem Loch im Giraffenhals, »du solltest beim Knutschen aber wenigstens den Helm abnehmen.«
Als sie fünf Meter vorbei waren, drehte sich eine andere Giraffe um.
»Wenn deine Süße auf Haare steht, hätte ich was Besseres für sie.«
Die anderen grölten und liefen hüpfend weiter.
Speer zog Bettina von der Wand weg. Sie grinste ihn mit halb geschlossenen Augen an. Er kannte diesen Gesichtsausdruck, gleich würde sie wegtreten. Er musste sofort einen sicheren Ort finden. Heute würde es nicht lange dauern. Er würde diese Frau töten und anschließend hübsch machen. Ganz in Weiß. Für das Finale seines Werkes, von dem selbst die große Leah begeistert gewesen wäre. Einen Moment dachte er, sich ein geeigneteres Modell zu suchen. Eigentlich war die Schlampe viel zu alt, aber hätte er sich die Chance entgehen lassen sollen, gleichzeitig Leah zu rächen? Der Kommissar war schuld an Leahs Tod, und jetzt hatte er schon eine Neue. Dabei konnte ihr dieses Flittchen nicht das Wasser reichen, in dem sie ihre Pinsel wusch.
Speer drückte gegen jede Haustür, an der sie vorbeikamen. Wenn er nicht bald einen Platz fand, musste er sie liegenlassen, denn sie war ihm zu schwer. Endlich sprang eine Tür auf. Er zerrte Bettina in den Hausflur. Zum Glück gab es einen Fahrstuhl. Er warf sich die Frau über die Schulter und drückte den obersten Knopf. Die Tür schloss sich, und der Fahrstuhl setzte sich beinahe geräuschlos in Bewegung. Als sich die Tür öffnete, stand Speer direkt vor dem Eingang zum Dachboden. Heute war doch sein Glückstag, denn der Boden war unverschlossen. Speer tastete an der Wand nach dem Lichtschalter. Als er ihn betätigte, ging eine einzige, schwache Glühbirne an, die an einem Kabel von der Decke baumelte. Der Dachboden stand voller Gerümpel. Er zog eine an mehreren Stellen aufgesprungene, dreckige Matratze aus einem Stapel Pappkartons.
»Ein besseres Lager kann ich dir leider nicht bieten«, knurrte er. Er warf Bettina unsanft auf die Matte. Sie lallte nur noch unverständlich, gleich würde sie bewusstlos werden. Speer nahm den albernen Rucksack in Form eines Bärenbabys vom Rücken und holte seine Kamera heraus. Jetzt war es an der Zeit, sein Werk zu vollenden. Aber vorher wollte er noch ein paar Fotos machen für den Herrn Kommissar persönlich. So viel Zeit musste sein.
***
Endlich liegen. Nur ein paar Minuten. Sie war so müde. Sie musste schlafen.
Du passt auf mich auf, Balu, mein Freund. Und wenn ich aufwache, gehen wir in den Wald und besuchen Baghira, den Panther.
Ja, zieh mich aus, mein Freund, und deck mich zu. Wo ist eigentlich Kaa, die Schlange. Und Mogli ...?
***
Thal stellte sich in einen Hauseingang in der Salmannsweilergasse. Er musste seine Atmung und seinen Herzschlag beruhigen, sonst konnte er nicht klar denken. Der Schmerz in seiner Brust ließ langsam nach. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und setzte Schober ins Bild.
»Was«, brüllte der Polizeidirektor, der Thals Worte wegen der feiernden Menschen um ihn herum schlecht verstand, »ein Bärenkostüm?«
Thal bestätigte das und bat ihn, eine Einsatzstaffel zu ihm zu schicken. Wenn Speer Bettina vor dem Lokal an der Laube entführt hatte, konnte er nur in diese Richtung geflohen sein. Eine Überquerung der vierspurigen Straße, auf der sich der Zug bewegte, hielt Thal für ausgeschlossen. Das Risiko wäre Speer zu groß gewesen.
Thal hielt das Telefon zwanzig Zentimeter von seinem Ohr entfernt, so laut brüllte Schober hinein:
»Wie stellen Sie sich das vor, Thal? Alle Mann sind beim Fastnachtsumzug im Einsatz.«
Thal brüllte genauso laut zurück, ohne auf die Dienstgradhierarchie zu achten:
»Zum Teufel mit dem Umzug, Schober. Eine Kollegin ist in Lebensgefahr. Wenn ich nicht auf der Stelle zwanzig Mann hier habe, werden Sie morgen keine Freude haben, wenn Sie die Zeitung aufschlagen.«
Thal legte auf, ohne Schobers Antwort abzuwarten, und wählte unmittelbar danach Grendels Nummer, der im Präsidium die Stellung hielt. Als er ihm in wenigen Worten die
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