Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
interessant fand Leander, dass neben den Immobilien
auf der Insel auch einige auf dem Festland dabei waren, sogar in Hamburg. Dabei
handelte es sich im Gegensatz zu den Ferienappartements auf Föhr durchweg um Geschäfts-und Bürohäuser. Eigentümer war immer die Nordfriesische Haus-und
Grundstücks-GmbH , jene Gesellschaft also, die Jessens und Petersens Frauen
gehörte, und an denen Hinnerk, Wilhelm Jörgensen und Ocko Hansen beteiligt
waren.
Eine weitere Abteilung des Ordners enthielt, genauso akribisch
und systematisch geordnet, die Geldanlagen des alten Mannes: Sparbuch,
Festgeldbücher und ein Depot bei der Nordfriesischen Hypothekenbank . Der
Aufstellung nach hatte das Vermögen bei der letzten Aktualisierung der Sparbücher
Anfang Dezember deutlich mehr als hundertzwanzigtausend Euro betragen. Somit
brauchte Leander nicht einmal Anteile der Immobilien zu verkaufen, wenn er
kurzfristig liquide sein musste, zum Beispiel um die Erbschaftssteuer zu
zahlen, die sicher nicht ganz ohne sein würde.
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und lauschte den
Gedanken nach, die in seinem Kopf herumirrten. Zunächst einmal bekam er keinen
zu fassen, so sehr schwirrten ihm die Zahlen durch die grauen Zellen und so
wenig hatte er bis jetzt realisiert, was das für ihn wirklich bedeutete. Ganz
allmählich machte sich dann aber doch eine Erkenntnis in ihm breit: Wenn der
Eindruck, den Leander vom Wert der Immobilien-Beteiligungen hatte, stimmte,
dann würde er tatsächlich für den Rest seines Lebens nicht mehr arbeiten müssen
– vorausgesetzt, das Eigentum war rechtmäßig und moralisch einwandfrei erworben.
Als Leander den Ordner wieder zugeklappt und zu den anderen
gelegt hatte, klopfte es an seiner Haustür. Er erhob sich mit erlahmten
Gliedern aus seinem Sessel und ging durch den Flur, noch immer ganz gefangen
von den Gedanken an Reichtum und Unabhängigkeit. Draußen stand Tom Brodersen im
dichten Schneetreiben und lugte aus dem dicken Pelzkragen seines Mantels.
»Wenn das so weiterschneit, ist spätestens morgen alles dicht.
Nach Neujahr haben wir dann Wintergäste, die eigentlich längst wieder arbeiten
müssten«, begrüßte er den Kommissar und schob ihn sanft zur Seite, um Zugang zu
dessen Haus zu bekommen. »Mach die Tür zu, draußen ist es kalt.«
Er schob sich an Leander vorbei und steuerte zielstrebig auf
die Wohnstube zu.
»Kann es sein, dass du etwas von der Rolle bist?«, fragte er im
Gehen zurück.
Leander nickte, merkte dann aber, dass Brodersen das gar nicht
sehen konnte, und bestätigte schließlich Toms Vermutung, setzte aber gleich zu
einer Erklärung an, da ihm selber auffiel, wie albern er sich gerade benahm. In
wenigen Worten informierte er Brodersen über seine eben gemachten Entdeckungen,
ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen.
»Gratuliere«, sagte Brodersen ungerührt und zog seinen Mantel
aus. »Dann kannst du mir ja etwas leihen, wenn ich meine Hypothek demnächst
verlängern muss. Oder gehört dir mein Haus etwa auch?«
Leander lachte und bot seinem Freund etwas Heißes zu trinken
an.
»Tee wäre gut«, sagte Brodersen dankbar. »Mit einem kräftigen
Schuss Rum, wenn du so etwas im Haus hast. Sobald ich wieder aufgetaut bin,
erzähle ich dir von meinen Entdeckungen auf dem Grundbuchamt.«
Leander ging in die Küche, setzte Wasser auf und wartete, bis
es kochte. Er wollte Brodersen Gelegenheit geben, sich erst einmal vor dem
Kamin aufzuwärmen. Dann goss er Tee auf, ließ ihn drei Minuten ziehen und
kehrte mit der Kanne, zwei Tassen und einer Flasche Rum in die Wohnstube
zurück.
Brodersen hatte es sich in dem Sessel bequem gemacht, in dem
Leander eben noch gesessen hatte. Er rieb sich die Hände und machte dabei
insgesamt einen ganz behaglichen Eindruck.
»Schön, so ein Kamin«, sagte er. »Das ist eine ganz andere
Wärme als eine Zentralheizung.«
Leander goss Tee ein und reichte Brodersen eine Tasse. Der
bediente sich großzügig an dem Rum und trank vorsichtig in kleinen Schlucken,
wobei er sich langsam wieder in den Sessel zurücksinken ließ.
»Also«, begann Leander. »Warst du erfolgreich?«
»Und ob«, antwortete Brodersen und schlug die Beine
übereinander. »Ich kenne jemanden beim Grundbuchamt und hatte deshalb überhaupt
keine Probleme, an die Akten zu kommen. Außerdem kann ich als Stadtrat immer
dienstliche Gründe benennen, die die Sache dringlich machen. Kurz und knapp:
Die Grundstücke und Häuser der Familien Heymann und Schulz sind kurz vor oder
nach
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