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Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Titel: Leander und der tiefe Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Breuer
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Sinnlosigkeit
dieses Unterfangens begriff und sich in sein Schicksal ergab, genossen die
beiden Frauen sichtlich ihr Original Föhrer Deichlamm mit Knoblauchbohnen.
    Die Weingläser mussten noch mehrmals aufgefüllt werden, was
auch Leanders Zustand deutlich beeinträchtigte. Am Ende war er taub für das Stimmengewirr
und unempfindlich für die Gerüche um sich herum, was auch wieder ein ganz
angenehmer Zustand war.
    Auf dem Rückweg gingen sie an der Galerie in der Westerstraße
vorbei, damit Lena Eikens Kleiderleihgabe mitnehmen konnte. Zu Hause
angekommen, überlegten sie nur kurz, ob sie noch den Kamin anfeuern sollten,
verwarfen den Gedanken aber schnell wieder und gingen stattdessen zeitig zu
Bett.

16
    Dienstag, 30. Dezember
    Am nächsten Morgen erhielt Leander einen unerwarteten Anruf
aus Kiel. Genaugenommen galt er Lena, aber diese feine Differenzierung nahm er
selber nicht vor. Seine Abteilung im LKA hatte bereits Antwort auf die Anfrage
beim Auswärtigen Amt erhalten und brauchte nun noch eine Faxnummer, an die die
Kollegen das Ergebnis schicken konnten. Leander rief zunächst Brodersen an, um
nach dessen Faxnummer zu fragen, und gab diese dann nach Kiel durch. Bei der
Gelegenheit ließ er sich kurz zusammenfassen, was beim AA bekannt war.
    Demnach hatte die Familie Williamson tatsächlich das Deutsche
Reich mit Hilfe der Fluchthilfe-Organisation auf Föhr verlassen. Damals hatten
sie aber noch Wilhelmsen geheißen. Auffällig war nur, dass die Eltern
unabhängig von ihrem Sohn, der damals noch Stefan geheißen hatte, gereist
waren. Während die Eltern irgendwann einfach aus Deutschland verschwunden
waren, war Stefan offiziell mit einem der Kindertransporte nach London gebracht
worden. Sein Kollege versprach Leander eine vollständige Liste aller
Flüchtlinge während der besagten Zeit, auch eine Liste der Kindertransporte.
    Als Leander diese Neuigkeiten, die ja eigentlich noch gar keine
waren, am Frühstückstisch an Lena weitergab, zog die nur die Schultern hoch und
ließ sie gleich darauf wieder sinken.
    »Was hast du erwartet?«, fragte sie angesichts der Enttäuschung
Leanders erstaunt. »Welche Informationen sollten unsere Behörden schon haben?
Ich erhoffe mir mehr von den englischen Quellen.«
    Sie goss Kaffee ein und überlegte eine Weile schweigend,
während Leander aus dem Fenster sah und das Gefühl hatte, nun endgültig in einer
Sackgasse gelandet zu sein.
    »Sag mal«, begann Lena
plötzlich wieder, »was sind denn das eigentlich für Kindertransporte? Ich kenne
nur die Deportationen und dann natürlich die Kinderlandverschickung. Meine
Großmutter hat viel davon erzählt. Sie wurde damals, als Hamburg bombardiert
wurde, mit ihrer ganzen Schulklasse nach Ostpreußen evakuiert. Da haben sie
dann in einem alten Herrenhaus gewohnt, bis schließlich die Russen kamen und
sie wieder zurück mussten – teils mit Zügen, teils zu Fuß.«
    »Ich weiß es nicht«, erklärte Leander. »Um Kinderlandverschickung
kann es sich kaum gehandelt haben, die ging ja nicht nach England. Und um eine
Deportation auch nicht, denn die führte ins Todeslager. Ich werde nachher Tom danach
fragen.«
    Sie frühstückten schweigend zu Ende, was sicher auch an dem
Nachklang des Weines vom Vorabend in ihrem Kopf lag. Nach dem Abwasch machten
sie sich dann auf den Weg hinaus zu Brodersen. Der erwartete sie schon mit
einem dicken Stapel Papier.
    »Seht euch das an«, stöhnte er. »Das kommt alles aus Kiel,
Listen über Listen, also seid mir nicht böse, aber da müsst ihr alleine durch,
ich muss korrigieren.«
    In diesem Moment piepte erneut das Faxgerät unten im Büro. Tom
rannte hinunter und kam mit einem weiteren Papierstapel zurück.
    »Na, da habt ihr ja bis weit ins nächste Jahr zu tun. Das hier
kommt aus England.«
    Er drückte Leander auch diesen Stapel in die Hand, holte zwei
Plastiktüten aus der Küche und half Leander und Lena, die beiden Papierstapel
getrennt voneinander einzutüten.
    »Sag mal«, begann Leander, »nur eine kleine Frage noch, bevor
wir dich wieder deinen Klausuren überlassen. Hast du mal etwas von
Kindertransporten gehört, mit denen jüdische Kinder ins Ausland verschickt
worden sind?«
    Brodersen dachte einen Moment lang nach.
    »In den Dreißigern, da hat es so was gegeben«, erklärte er
schließlich. »Reiche jüdische Eltern, die selber nicht aus Deutschland weg
wollten, haben ihre Kinder ins Ausland geschickt. Ob das aber in organisierten
Transporten war, und wie lange das ging, weiß

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