Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
erschließen schien. War er denn bisher
wirklich so naiv gewesen? Vielleicht war es aber auch nur der Rum im Tee, der
Leander an der Nase herumführte.
Spät in der Nacht erwachte er in seinem Sessel und sah, dass
das Holz im Kamin ausgebrannt war und nur noch als Glut leise vor sich hin
glimmte. Er löschte das Licht und ging hinauf ins Bett, wo er kurz darauf
wieder einschlief.
6
Sonntag, 21. Dezember
Am nächsten Morgen saß Leander gerade in der Küche beim
Frühstück mit frischen Sonntagsbrötchen, die er sich wieder in der
Fußgängerzone geholt hatte, als er einen Schlüssel in der Haustür und Schritte
im Flur hörte. Frau Husen steckte ihren Warankopf durch die Tür, grüßte nur mit
einem Nicken und erklärte: »Als ich gestern Abend hier war, haben Sie im Sessel
geschlafen. Ich wollte Sie nicht wecken, also komme ich jetzt, um Ihnen den
Keller zu zeigen.«
Leander gruselte es einen Moment bei dem Gedanken, dass jemand
Fremdes in seinem Haus gewesen war und ihn beobachtet hatte, während er
schlief. Dass Frau Husen jederzeit freien Zutritt hatte, gefiel ihm gar nicht.
Daran musste er unbedingt etwas ändern. Aber jetzt wollte er die alte Frau
nicht sofort wieder verprellen, schließlich war sie hier, um ihm zu helfen.
»Setzen Sie sich doch erst einmal und trinken Sie eine Tasse
Kaffee mit mir«, versuchte Leander das Eis zu brechen, denn Frau Husen schien
angefressen zu sein, weil er ihre Verabredung verschwitzt hatte.
Die Haushälterin zögerte kurz, raffte sich dann aber doch
widerwillig auf und kam der Einladung nach. Wie bereits tags zuvor bediente sie
sich schnell selber.
»Es gibt nichts Neues, denke ich«, stellte sie halb fragend
fest, so als hielte sie es für möglich, dass sie nur wieder einmal nicht
benachrichtigt worden war.
»Eigentlich nicht«,
berichtete Leander. »Ich war bei Dr. Erlei, der mir bestätigt hat, dass mein
Großvater kerngesund gewesen ist. Die beiden Kollegen aus Flensburg haben ihn
übrigens auch dahingehend befragt. Von denen habe ich allerdings noch nichts
gehört. Wahrscheinlich wird der Leichnam gründlich untersucht, mehr können die
ja auch nicht machen.«
»Ich habe Ihnen ja gesagt, es war kein Selbstmord«, erklärte
Frau Husen bestimmt, fügte aber nach einem kurzen Zögern hinzu: »An einen
Unfall glaube ich allerdings auch nicht.«
»Das bedeutet, es war Mord. Haben Sie dafür irgendwelche
Anhaltspunkte?«
Frau Husen schüttelte leicht den Kopf.
»Irgendeinen Verdacht? Eine winzige Vermutung? Irgendeine
Beobachtung, der man nachgehen könnte?«
Diesmal zögerte sie auffallend länger, schüttelte aber
schließlich doch wieder den Kopf.
»Frau Husen, Sie können absolut offen sein. Ohne einen Hinweis
bin ich aufgeschmissen – und die Kollegen auch.«
»Da ist nichts«, kam nun die entschlossene Antwort. »Aber
vielleicht finden Sie ja Ihre Hinweise in den Unterlagen, die Sie suchen.
Lassen Sie uns an die Arbeit gehen.«
Sie erhob sich, stellte ihre Tasse in die Spüle und ging voran
ins Wohnzimmer.
»Im Schrank dort stehen die Ordner mit den Dingen, die den
laufenden Unterhalt betreffen: Stromrechnungen, Handwerkerbelege und so weiter.
Das werden Sie ja alleine durchgehen können. Ihr Großvater war da sehr gewissenhaft.
Alle anderen Dinge, die Sie suchen, könnten im Keller sein.«
»Halten Sie es für möglich, dass vielleicht Unterlagen auf dem
Dachboden sind?«
»Das hier ist ein ReetdachHaus«, erklärte Frau Husen, als
hätte sie es mit einem besonders begriffsstutzigen Schüler zu tun, und als
Leander sie verständnislos anguckte, fuhr sie betont geduldig fort:
»ReetdachHäuser sind feuergefährdeter als Ziegeldach-Häuser, und deshalb
werden unter dem Dach niemals wichtige Papiere aufbewahrt.«
Sie schob den Ohrensessel an die Seite und rollte den
darunterliegenden Teppich zusammen. Im Holzboden wurde jetzt eine große Klappe
sichtbar.
»Einen richtigen Keller, wie Sie ihn kennen, gibt es in diesen
Friesenhäusern natürlich nicht, aber einen feuergeschützten und vor allem
kühlen Raum unter der Erde haben die meisten.«
Sie zog die Holzluke an einem Eisenring hoch und klappte sie
nach hinten weg. Leander schaute in das schwarze Loch und erkannte eine schmale
Holzleiter, die hinabführte. Frau Husen holte eine Taschenlampe aus einer der
Schubladen des Schrankes und reichte sie ihm.
»Elektrisches Licht gibt es da unten nicht.«
Leander knipste die
Taschenlampe an und stieg vorsichtig die Leiter hinab. Unten musste er sich
unter
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