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Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Titel: Leander und der tiefe Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Breuer
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seines
Lebens damit zufriedengegeben? Aber vielleicht war das damals ja noch so
gewesen, dass man sich ein Ziel gesteckt hatte, und wenn man das erreicht
hatte, war man damit einfach zufrieden gewesen. Leander stellte sich ein
solches Leben zwar als eintönig, aber auch als viel ruhiger vor als das Leben
seiner Generation, die nie zufrieden war und immer nach mehr strebte. Außerdem:
Wie sollte für einen Fischer auf einer Nordseeinsel so etwas wie eine Karriere
aussehen? Eine ganze Kutterflotte vielleicht mit zahlreichen angestellten
Fischern? Dafür waren dann doch eher die großen Hafenstädte an der Küste
prädestiniert. Aber seltsam war es doch, dass ein junger Mann zu der Zeit schon
solch einen Besitz sein Eigen genannt hatte.
    Das nächste Dokument war die Geburtsurkunde seines Vaters. Es
handelte sich um eine beglaubigte Kopie – das Original befand sich bestimmt im
Nachlass seines Vaters. Bjarne Leander war am 16. Januar 1944 geboren worden,
mitten im Krieg. Er selbst, Henning, war 1969 zur Welt gekommen – da war sein
Vater also 25 Jahre alt gewesen und hatte sich mitten im Studium befunden. Von
der wilden Zeit der 68er-Revolte hatte er Henning viel erzählt, und es war
Leander oft so vorgekommen wie die Kriegserzählungen der Veteranen, die sich
nur an die positiven Seiten erinnerten, wobei es ihm immer schon befremdlich
vorgekommen war, dass es solche im Krieg überhaupt geben sollte. Dafür war sein
Vater sofort in tiefes Schweigen verfallen, wenn Leander etwas über dessen
Eltern erfahren wollte. In solchen Momenten konnte der hochdekorierte Professor
ein richtiger friesischer Sturkopf sein.
    Das nächste Dokument war die Sterbeurkunde Wencke Leanders vom
17. Januar 1944. Das war ein Tag nach der Geburt ihres Sohnes Bjarne.
Offensichtlich war sie in der Folge eben dieser Geburt gestorben. Zu der Zeit
hatte es noch viele Todesfälle in Folge von Kindbettfieber gegeben, und
sicherlich war die ärztliche Versorgung in Kriegszeiten auch nicht die beste
gewesen. Hinnerk Leander hatte alles in jungen Jahren hinter sich gebracht. So
erfolgreich er beruflich gewesen war, so jung war er auch schon Witwer gewesen,
mit gerade einmal siebenundzwanzig Jahren. Dass er dennoch ein so hohes Alter
erreicht hatte, denn er war ja nun über neunzig Jahre alt geworden, passte da
kaum ins Bild. Leander hatte seinen Großvater als extrem rüstig kennengelernt
und hätte ihn sicher nicht über achtzig Jahre geschätzt.
    Ein Frösteln, das tief von innen heraus kam, erfasste Leander,
und es erklärte sich sicher nicht nur durch die Tatsache, dass es wirklich kalt
im Wohnzimmer war. Er stöberte hier im Leben eines völlig fremden Menschen
herum. Auch wenn das sein Beruf war, so war es in diesem Falle etwas anderes,
denn dieser fremde Mensch ging ihn persönlich an, stellte quasi seine eigenen
Wurzeln dar. Allerdings gelang es Leander im Moment noch nicht, aus den
einzelnen Puzzleteilen ein vollständiges Bild zusammenzusetzen.
    Er erhob sich aus dem Sessel und feuerte mit den letzten
Holzscheiten, die hier bereitlagen, den Kachelofen an. Dann ging er zur
Hintertür im Flur neben der Küche, schloss sie auf und huschte hinaus in den
Garten, der in eisiger Kälte erstarrt dalag. Leander erblickte den gesuchten
Holzstapel im hinteren Teil neben der Hütte mit den Gartengeräten. Schnell lief
er hinüber, griff sich einen Arm voll und eilte zurück in den Schutz seines
Hauses. Als er die Tür zuwarf, stellte er fest, dass sie nicht richtig schloss.
Also legte er zunächst das Holz neben der Feuerluke des Kamins in den flachen
Weidenkorb und ging dann zurück, um die Tür noch einmal sorgfältig zu
schließen.
    Leander wärmte sich an den Kacheln des Ofens auf und überlegte,
was nun weiter zu tun war. Die gesuchten Unterlagen für den Notartermin am
kommenden Tag hatte er gefunden, und den Rest der Kiste würde er später in Augenschein
nehmen. Vielleicht fand er darin Antworten auf seine Frage, weshalb sein Vater
und sein Großvater sich so zerstritten hatten. Der Disput musste vor seiner
eigenen Geburt gelegen haben oder zumindest nicht sehr lange danach, im Umfeld
der 68er-Revolte also, denn sonst hätte er seinen Großvater ja als Kind kennengelernt.
Hatte sein Vater damals so sehr über die Stränge geschlagen, dass er es sich
mit Hinnerk für immer verscherzt hatte? Unwahrscheinlich, denn Bjarne war
Hinnerks einzig verbliebenes Familienmitglied gewesen. Leander dachte an seine
eigenen Kinder und erneuerte seinen Beschluss,

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