Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
handelte. Erste Reetdachhäuser
rechts, die in einer Art Winterschlaf dalagen, dann ein ausladender Dorfteich,
von weiß gefrorenem Rasen umsäumt, schließlich ein mit Haus des Gastes bezeichnetes großes weißes Gebäude linker Hand und daran anschließend ein Café-Restaurant
mit Namen Lohdeel , in das Lena Leander zog, der erleichtert aufatmete.
Die Gaststube war rustikal
im Stil einer umgebauten Scheune, die sie vermutlich auch einmal gewesen war, gestaltet
und eingerichtet. An den zahlreichen Tischen saßen überall Gäste, zumeist
paarweise, aber auf der Empore, die über eine Holztreppe zu erreichen war, war
noch ein Tisch direkt am Geländer frei. Sie hängten ihre Mäntel an einen
Kleiderhaken und nahmen Platz. Der Blick über den Gastraum unten, durch den sie
gerade hereingekommen waren, war einfach toll. So gemütlich konnte es
bestenfalls bei den Amish in Pennsylvania sein, und das auch nur an
Thanksgiving.
Auf dem Tisch vor ihnen brannte eine Kerze in einem tiefen
Glas, daneben stand ein Gesteck aus getrockneten Früchten und Blüten und ein
paar Zimtstangen. Das Stimmengewirr im Raum glich dem Summen in einem Bienenstock.
Im Sommer war das sicherlich anders, wenn mehr Kinder unter den Gästen waren.
Jetzt aber waren die meisten Gäste in Leanders Alter und unterhielten sich
überwiegend leise miteinander.
Bei einer Kellnerin bestellten sie heißen Apfelstrudel mit
Vanilleeis und Sahne und jeweils ein Kännchen Ostfriesentee. Während sie darauf
warteten, genossen sie schweigend die gemütliche Atmosphäre des Lokals, das an
den Wänden mit landwirtschaftlichen Geräten geschmückt war und in dessen Mitte
ein riesiger Adventskranz von der Decke hing, der – aus Hafer und Weizen
geflochten – ebenfalls eher wie ein Erntedank-Kranz aussah, allerdings mit
großen roten Kerzen und Schleifen bestückt.
Die Kellnerin brachte Apfelstrudel und Tee und verschwand
schnell wieder, da sie und ihre Kollegin unten im Gastraum offenbar die
einzigen Bedienungen an diesem Nachmittag waren. Leander schenkte Lena und sich
Tee ein, nachdem er die mit braunem Kandis besetzten Holzstäbchen in die Tassen
gestellt hatte. Dann gab er etwas Milch hinzu, und beide nippten an dem heißen
Getränk und fühlten, wie sich langsam eine befreiende Wärme in ihnen
ausbreitete.
»Hier sollten wir öfter herkommen«, meinte Lena. »Die
Atmosphäre gefällt mir. Bestimmt kann man hier auch gut essen.«
Sie genossen den Apfelstrudel und die Ruhe und saßen lange Zeit
schweigend da.
Wie ein altes Ehepaar, dachte Leander und wunderte sich, dass
ihm der Gedanke alles andere als unangenehm war.
»Wir sollten uns auf den Rückweg machen, bevor es dunkel wird«,
erinnerte Lena ihn schließlich daran, dass sie hier nicht einfach ewig sitzen
bleiben konnten.
Leander zahlte und ließ sich von der Bedienung auf seiner
Wanderkarte einen kürzeren Weg zurück nach Wyk zeigen, der nicht am Strand
entlangführte, sondern durch Felder und ein Stück Wald.
Als sie wieder draußen in der Kälte standen und sich die Mäntel
hoch zuknöpften, war Leander einen Moment lang versucht, wieder hineinzugehen
und ein Taxi zu rufen, aber Lena steuerte schon auf den Dorfteich zu und bog
direkt davor links ein. Er folgte ihr und schritt bald darauf entschlossen an
ihrer Seite. Sie bogen links ab und gingen zwischen kleinen weißen
Kapitänshäusern hindurch, deren Fenster weihnachtlich beleuchtet waren. Die
Platanen davor starrten allerdings kahl und scheinbar erfroren in den
blaugrauen Winterhimmel.
Am Ende der Straße ging es nach rechts durch das urige
friesische Dorf mit Kopfsteinpflasterstraßen und hinter dem Ortsausgangsschild
rechts ab in die Felder. Auf großen Feldsteinen am Wegesrand prangte ein
gemeißelter und schwarz ausgemalter Wandersmann mit einem Stecken über der
Schulter, an dem ein Bündel hing. Darunter wies die Aufschrift den Weg in
Richtung Wyk.
Der Pfad führte im Zickzack durch Felder und vorbei an einem
Golfplatz, bevor er in einen Wald mündete. Auch hier war die Richtung gut
bezeichnet, und so fanden Leander und Lena nach etwa einer Dreiviertelstunde
zum Flugplatz und in eine Siedlung, von der aus Wege durch waldähnliche
Grünstreifen abzweigten. Leander befragte seine Wanderkarte und führte Lena mit
Überquerung mehrerer Siedlungsstraßen und unter zahlreichen Abbiegungen zurück
in das Gewirr kleiner Gassen, von denen eine direkt an Petersens Mühle vorbei
zu seinem Haus führte.
Inzwischen war es dunkel geworden, und so
Weitere Kostenlose Bücher