Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
waren beide froh, der
Kälte zu entkommen und Zuflucht vor dem Kamin der Wohnstube zu finden, den
Leander allerdings erst noch anfeuern musste.
»Was ist denn das für eine Kiste?«, fragte Lena und deutete auf
die Stahltruhe, die Leander und Frau Husen aus dem Kellerraum geholt hatten.
Leander erzählte ihr, was er darin gefunden hatte, und sie
beschlossen, am nächsten Vormittag weiter in der Truhe zu forschen. Für heute
hatten sie genug unternommen, und Leander war froh, dass es Lena genauso ging
wie ihm.
Den Abend verbrachten sie zunächst im Restaurant Alt Wyk ,
wo sie ein hervorragendes Menü genossen, um dann noch ein paar Schritte
hinunter zur Mittelbrücke zu gehen. Da es aber empfindlich kalt war, flüchteten
sie schnell wieder zu ihrem Kaminfeuer.
Lena öffnete eine Flasche Sekt, die sie in ihrer Reisetasche
verstaut hatte, und überreichte Leander ein kleines Päckchen.
»Verdammt«, sagte er unangenehm berührt, »du hättest mich
vorwarnen sollen. Jetzt habe ich gar nichts für dich.«
»Du hast mir eine Woche Urlaub bei dir auf der Insel geschenkt.
Und keine Sorge, ich lasse dich in der Zeit alles bezahlen, da komme ich schon
auf meine Kosten.«
Sie setzten sich vor den Kamin, wo sie einander zuprosteten.
Dann öffnete Leander das Päckchen. Es enthielt einen kostbaren Bilderrahmen mit
einem Foto von Lena. Leander nahm sie in die Arme und stellte das Bild gut
sichtbar auf den Sims über dem Kamin.
Sie redeten an diesem Abend ausschließlich über sich und
darüber, wie sie sich ihre gemeinsame Zukunft vorstellten. Leander hatte sich
bei dem Gedanken, sein Leben mit einem anderen Menschen zu teilen, schon lange
nicht mehr so unbeschwert und wohl gefühlt.
Weit nach Mitternacht gingen sie schließlich ins Bett, müde von
der Wanderung, dem Essen, dem Alkohol und den Gefühlen, die sie füreinander
hegten.
11
Donnerstag, 25. Dezember
Der erste Weihnachtstag begann für Leander mit einem
zwiespältigen Gefühl. Die Frau an seiner Seite atmete gleichmäßig, was darauf
hindeutete, dass sie noch schlief. Und doch war sich Leander nicht sicher, ob
es ihm gefiel, nicht alleine aufzuwachen. Einerseits war es schön, jemanden zu
haben und zu wissen, dass man auf einen Menschen bauen konnte. Andererseits
fühlte er sich leicht eingeengt – ein Gefühl, das er bei Inka früher nie gehabt
hatte, das sich aber mit der Enttäuschung, als er merkte, wie ihm seine Ehe
zwischen den Fingern zerrann, Schritt für Schritt eingestellt hatte. Seine
eigene Wohnung nach der Trennung war wie eine Befreiung gewesen, und jeder
Besuch von Lena hatte diese Freiheit in Gefahr gebracht. Was Leander aber am
meisten verunsicherte, war, dass er gar nicht hätte benennen können, was die
Freiheit für ihn eigentlich ausmachte. Die Freiheit, tun und lassen zu können,
was er wollte, konnte es eigentlich nicht sein, denn das Gefühl hatte er noch
nie gebraucht. Außerdem wollte er ohnehin nichts machen, das er vor Lena nicht
hätte vertreten oder mit ihr gemeinsam hätte machen können. Im Grunde war er
kein Mensch, der auf Dauer alleine leben konnte. Vielleicht war es die Freiheit
von der Angst, noch einmal verlassen zu werden.
Leander drehte sich zu Lena um und schaute ihr beim Schlafen
zu. Sie war hübsch, ihr Gesicht hatte zwar nicht die Gleichmäßigkeit, die Inkas
Gesicht ausgezeichnet hatte, aber diese Perfektion war ja eh nur Schein
gewesen. Jetzt nicht ungerecht werden, dachte er, du hast auch deinen Anteil an
dem Drama. Und jetzt keine Monologe führen, dabei kannst du nur verlieren!
Lieber wandte er sich wieder Lenas markanten Zügen zu. Ihre Nase war eine Spur
zu lang und zu spitz, aber besser als eine Knubbelnase. Ihr Mund war breit, die
Lippen voll. Die Augen, auch wenn sie beim Schlafen geschlossen waren, hatten
die kaltblaue Farbe eines sonnigen Wintertages, konnten aber so viel Wärme
geben, dass Leander in ihnen am liebsten ertrunken wäre.
»Was ist?«, fragte Lena, und erst jetzt bemerkte Leander, dass
die Augen gar nicht geschlossen waren.
»Ich schaue dich an«, antwortete er.
»Das sehe ich. Und? Gefällt dir, was du siehst?«
»Oh, ja!«, erklärte Leander und hatte sich in diesem Moment
entschieden – für Lena.
»Kaffee oder schmusen?«, fragte Lena.
»Beides. Die Reihenfolge bestimmst du.«
Lena kuschelte sich an ihn und schloss wieder die Augen.
Leander legte seinen rechten Arm um sie und zog sie an sich.
Später stand er auf, ging hinunter, heizte den Kamin an und
setzte Kaffee auf,
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