Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
gemerkt?«, fragte Lena.
»Haben Sie eine Ahnung, wer das Zimmer durchwühlt haben könnte? Haben Sie bei
Ihrer AufräumAktion irgendetwas Ungewöhnliches gefunden?«
Die junge Frau schüttelte den Kopf, offenbar entschlossen, nach
dem Redeschwall, der für das Geständnis notwendig gewesen war, nun mindestens
ein Jahr lang nichts mehr zu sagen.
»Ich danke Ihnen, Frau
Kneelsen«, sagte Leander und reichte ihr die Hand. »Es war richtig und wichtig,
dass Sie hergekommen sind. Wenn Sie allerdings schon früher etwas gesagt
hätten, hätte die Polizei vielleicht noch Spuren finden können und den Tod von
Mr. Williamson nicht als Unfall gewertet.«
»Sie versprechen aber …«, beeilte sich Frau Kneelsen zu sagen.
»Natürlich, wir werden Sie nur mit in die Sache hineinziehen,
wenn es gar nicht anders geht. Vorerst reicht uns erst einmal der Hinweis
darauf, dass es möglicherweise doch Mord war.«
Lena brachte Frau Kneelsen wieder zur Tür. Leander setzte sich
auf das Sofa und dachte nach.
»Mr. Williamson kommt nach Föhr, um etwas über seine Eltern und
ihre Flucht zu erfahren«, begann er, als Lena wieder neben ihm saß. »Er besucht
vielleicht ein paar Leute, die wissen könnten, was er sucht. Da bieten sich ja
nun vor allem die alten Männer an, die damals die Fluchthilfe organisiert
haben, also Hinnerk und seine Freunde. Irgendwie tritt er bei seinen Recherchen
jemandem auf die Füße und wird umgebracht. Dieser Jemand vermutet, dass
Williamson Beweise versteckt hat, und lässt sein Zimmer durchsuchen. Vielleicht
findet er etwas, vielleicht auch nicht. Die alten Freunde streiten sich
jedenfalls nach dem Mord. Hinnerk will auspacken, das heißt, er will mir alles
erzählen, und daraufhin wird auch er umgebracht.«
»Du unterstellst jetzt, dass Hinnerk über den Mord an
Williamson Bescheid gewusst hat. Ich denke eher, er hat etwas geahnt und
deshalb den Detektiv eingeschaltet. Das bedeutet, dass er an der Sache gar
nicht beteiligt gewesen sein kann, also unschuldig ist«, wandte Lena ein.
Leander nickte und fuhr fort: »Auch Wilhelm Jörgensen ist
wahrscheinlich zunächst nicht beteiligt gewesen, aber er wollte auch nicht,
dass Hinnerk die Pferde scheu machte, deshalb der Streit zwischen den beiden
alten Freunden. Ocko Hansens Rolle in dem Spiel durchschaue ich noch nicht.
Verdächtig sind für mich vor allem Petersen und Jessen.«
»Vorurteile«, schalt Lena ihn. »Du magst sie nicht, und deshalb
wünschst du dir das so.«
»Anhaltspunkte«, korrigierte Leander. »Sie haben am meisten zu
verlieren, wenn sich ihre Heldengeschichte als Lüge entpuppen sollte. Hinnerk,
Wilhelm und Ocko haben sie über viele Jahre mit kleinen Geschenken und größeren
Beteiligungen bei der Stange gehalten, und jetzt schert einer aus und droht,
die ganze Instabilität zum Einsturz zu bringen. Da haben sie Nägel mit Köpfen
gemacht und den Engländer und meinen Großvater umgebracht. Wilhelm Jörgensen
und Ocko Hansen wissen nun Bescheid, was ihnen blüht, wenn sie nicht
stillhalten. Und damit funktioniert das System wieder, diesmal über den Kitt
der Angst.«
»Warum fragst du sie nicht einfach?«, schlug Lena vor. »Eiken
hat uns doch eingeladen, nehmen wir ihre Einladung an und nutzen die Chance,
mit ihrem Großvater zu sprechen.«
Leander überlegte einen Moment, aber da er heute eh nicht mehr
erreichen konnte, willigte er ein.
Sie zogen sich dick an und verließen das Haus. Als sie auf die
Straße traten, schlug ihnen ein eisiger Wind entgegen, der ihnen scharf in
Gesicht und Hände schnitt.
»Jetzt weiß ich, was der Begriff ›klirrende Kälte‹ bedeutet«,
schnatterte Lena.
»Weh mir, wo nehm’ ich, wenn es Winter ist, die Blumen, und wo
den Sonnenschein, und Schatten der Erde?«, rezitierte Leander Hölderlin. »Die
Mauern stehn sprachlos und kalt, im Winde klirren die Fahnen.«
»Angeber«, kommentierte Lena und hängte sich bei ihm ein.
» Hälfte des Lebens «, zeigte sich Leander unbeeindruckt
von der Kritik. »Ich finde, das passt.«
Beide waren froh, dass sie nur wenige Meter bis zur Galerie zu
laufen hatten. In der schmalen Gasse davor schien sich die Situation noch zu
verschärfen, denn hier konnte der Wind wie durch einen Kanal strömen.
Entsprechend erleichtert waren sie, als Eiken auf ihr Klopfen hin öffnete.
»Ihr seht aus, als könntet ihr einen heißen Punsch gebrauchen«,
begrüßte sie ihre Besucher und schloss die Tür schnell wieder hinter ihnen.
Wilhelm Jörgensen saß wie
einer
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