Leander und die Stille der Koje (German Edition)
Albertsens Wagen, wo sich Lena um den Arzt kümmerte, der augenscheinlich einen leichten Schock hatte. Der Spurensicherer erzählte den beiden, was er entdeckt hatte.
»Sie haben von einem Anschlag gesprochen«, erinnerte Lena den Arzt und blickte ihn aufmunternd an. »Wie kommen Sie darauf?«
»Das muss ein Anschlag gewesen sein. Man verliert doch nicht einfach so ein Rad.« Melf Albertsen war kreidebleich und zitterte am ganzen Körper. Sein rechtes Augenlid zuckte. Dabei war sein Blick starr auf den Schotterweg vor sich gerichtet.
Paul Woyke stimmte ihm zu. »Haben Sie in den letzten Tagen das Rad wechseln lassen oder vielleicht sogar selbst gewechselt und vergessen, die Schrauben richtig anzuziehen? So etwas kann schon mal passieren«, hakte er dann nach.
»Nein, nichts davon«, antwortete der Arzt monoton. »Ich habe zuletzt zu Ostern die Winterreifen gegen Sommerreifen getauscht. Aber der Wagen hat den ganzen Tag bei mir im Hof gestanden. Da konnte jeder dran. Außerdem ist da ja auch noch der Drohbrief, den ich Ihnen gebracht habe. Warum haben Sie in der Sache noch nichts unternommen?«
Der letzte Satz kam regelrecht verzweifelt, so dass der Vorwurf Lena durchaus traf. »Wir haben schon etwas unternommen«, erklärte sie. »Aber es gibt keinerlei Spuren, weder auf dem Brief, noch auf dem Stein.«
»Muss mich erst jemand töten, damit Sie mir glauben?«, war die fast schon weinerliche Antwort, wobei Albertsen die Kommissarin jetzt direkt ansah.
»Wir glauben Ihnen doch, Herr Albertsen. Wir haben nur überhaupt keinen Angriffspunkt und keine Handhabe. Vielleicht findet Herr Woyke ja etwas an Ihrem Auto.« Sie blickte Paul Woyke Hilfe suchend an, aber der schüttelte nur bedauernd den Kopf.
»Ich fürchte, da wird nicht viel zu finden sein. Wenn der Täter derselbe ist, der auch schon den Brief geschrieben hat, dann war er sicher nicht so blöd, uns diesmal seine Fingerabdrücke zu schenken. Aber das untersuche ich am besten in Ruhe gleich an der Zentralstation. Ich fotografiere das hier alles, dann bringen wir das Rad wieder an und fahren zusammen zurück.«
Woyke machte ein paar Fotos und holte das nötige Werkzeug aus dem Kofferraum des Golf. Er kurbelte das Auto mit dem Wagenheber hoch, was einigermaßen umständlich war und eine ganz schön wackelige Angelegenheit, da der Untergrund uneben und wegen des Schotters rutschig war. Dann setzte er das Rad an und fummelte die erste Schraube in ein Loch. So ein Autorad wird ganz schön schwer, wenn man es kniend in Brusthöhe vor sich in der Luft halten muss, während man gleichzeitig eine Schraube in ein Loch zu friemeln versucht, stellte er fest. Erst nachdem es bei den ersten beiden Anläufen verkantete und Woyke laut fluchte, fiel Melf Albertsen ein, ihm zu helfen. Schließlich ließ sich die erste Schraube handfest anziehen, der Rest war dann nur noch Formsache.
Nachdem Woyke auf diese Weise alle vier Schrauben angesetzt hatte, griff er zum Radkreuz, um sie richtig festzuziehen. Zum Glück hatte Albertsen noch so ein altmodisches Werkzeug in seinem Wagen. Den kurzen Schlüsseln, die neuerdings immer dabei waren, wenn man ein Auto kaufte, sofern man überhaupt noch Bordwerkzeug mitgeliefert bekam, hatte er noch nie getraut. Damit konnte man doch gar keine Hebelwirkung entfalten. Paul Woyke drehte das Rad leicht in eine Richtung und zog dann in einer schnellen Gegenbewegung die Schrauben fest an. Auf die fünfte würde er bis zur Werkstatt verzichten können.
Als Woyke den Wagenheber wieder abließ, wurde ihm klar, dass Albertsen recht hatte: Niemals lösten sich einfach so fünf derart fest angeknallte Schrauben. Irgendjemand musste Albertsens Radmuttern also wirklich gezielt gelöst haben. Und wenn er das an einem Rad gemacht hatte, konnte er es auch an allen vieren getan haben.
Woyke lief zum Hinterrad und kontrollierte die Schrauben. Tatsächlich: Alle fünf waren gelöst und unterschiedlich weit herausgedreht. Die erste konnte jeden Meter weiter herausfallen. Als er Lena und Albertsen das mitteilte, sackte der Arzt vollkommen in sich zusammen. Woyke drehte die Schrauben wieder fest und kontrollierte auch die Räder auf der anderen Seite – mit demselben Ergebnis. Jemand hatte die Radmuttern an allen vier Rädern gelöst. Das Ziel war eindeutig: Melf Albertsen sollte mit seinem Auto verunglücken. Dass er dabei auch zu Tode kommen konnte, wurde offenbar billigend in Kauf genommen. Es handelte sich demzufolge eindeutig um einen
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