Leander und die Stille der Koje (German Edition)
einen Moment, bis sie sich dessen bewusst wurde und tief durchatmete. Dann räusperte sie sich und antwortete schon wesentlich ruhiger: »Ich kenne das Ding nicht.«
»Ach, Frau Jeronski«, rief Lena und lachte auf. »Jetzt kommen Sie uns doch nicht so. Wir haben Fingerabdrücke darauf gefunden. Und Herr Rickmers hat uns schon bestätigt, dass er den Schläger sehr wohl kennt.«
»Fingerabdrücke? Wieso denn Fingerabdrücke? Maarten hat gesagt …? Das glaube ich nicht.«
»Sollen wir Ihnen die Stelle aus dem Protokoll vorlesen?«, mischte sich Dieter Bennings ein. »Also los jetzt, sagen Sie uns, was Sie wissen.«
»Ich weiß nichts. Ich kenne das Ding nicht.«
»Wie gesagt«, fuhr Lena fort. »Es befinden sich Fingerabdrücke darauf. Wir werden Ihnen jetzt ebenfalls Abdrücke nehmen, und dann haben wir in Kürze Gewissheit.«
Sie öffnete das Abdruckkissen und schob über den Tisch zu Arianas Platz hinüber. Dann forderte sie das Mädchen auf, sich wieder hinzusetzen. Plötzlich brach Ariana Jeronski in Tränen aus und sackte mit dem Kopf auf die Tischplatte.
»Ich verlange eine Unterbrechung«, begehrte Rechtsanwalt Petersen jetzt auf. »Ich möchte mit meiner Mandantin unter vier Augen sprechen.«
»Nicht jetzt, Herr Dr. Petersen«, wies Lena ihn zurück und wartete, bis Ariana sich wieder etwas gefangen hatte. Dann legte sie ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Sie kennen den Karpfenschläger also doch. Sagen Sie uns, was an dem Abend passiert ist.«
»Maartens Vater stand plötzlich in der Tür«, begann das Mädchen stockend. »Er wollte die Videoaufnahme haben.«
»Das heißt, er hat von Ihren Arrangements und den Videos gewusst?«
»Ja, er hatte uns schon vor ein paar Monaten erwischt. Eines Abends stand er plötzlich in der Vogelkoje, als ein Kunde gerade weg war – Herr Steencke. Nahmen hatte draußen alles mitbekommen und gewartet, bis Maarten und ich wieder alleine waren. Dann hat er uns zur Rede gestellt. Ich dachte zuerst: Jetzt ist alles aus. Aber dann hat Maarten ihm von den Videos erzählt und gesagt, damit könne sein Vater doch auch Karriere machen. Man müsste nur bestimmte Leute, die ihm nützlich sein könnten, ansprechen und zu unseren Kunden machen. Mit den Videos hätte er sie dann in der Hand.«
»Und Nahmen Rickmers ist darauf eingegangen«, stellte Lena fest.
»Ja. Er war sofort begeistert. ›Die Idee hätte von mir kommen können‹, hat er gesagt und sich gar nicht mehr eingekriegt vor Lachen. Und dann hat er noch etwas verlangt. Er wollte mit mir schlafen.«
»Und Maarten hat das zugelassen.«
»Ja. Es war schrecklich. Nahmen war so brutal. Und er ist immer wiedergekommen, immer öfter. Manchmal hat er mich grün und blau geschlagen dabei. Maarten wollte mir helfen, aber sein Vater hat ihm das Nasenbein gebrochen. Irgendwann konnte ich das alles nur noch mit Speed und Kokain ertragen.«
»Den Stoff hatten Sie von Maarten?«
»Ja, er versorgt die halbe Schule mit dem Zeug. Und die Freier auch. Aber meine Kunden waren so merkwürdig, wenn sie auf Droge waren, so brutal und hemmungslos. Da habe ich gemerkt, was das Zeug mit einem macht, und aufgehört, Drogen zu nehmen.«
Ariana holte tief Luft und zog ein Taschentuch aus der Hosentasche, um sich die Nase zu putzen. Sie wirkte jetzt geradezu befreit. Lena konnte sich vorstellen, wie unfassbar groß der Druck auf dem Mädchen gelastet hatte. Deshalb ließ sie ihr auch einen Moment Zeit, bevor sie das Verhör in die entscheidende Richtung lenkte.
»Was war an dem Abend, an dem Nahmen Rickmers erschlagen wurde? Stand er da auch wieder plötzlich in der Vogelkoje?«
»Ole Paulsen war gerade bei mir gewesen. Maarten hatte das Treffen im Auftrag seines Vaters arrangiert. Und jetzt wollte Nahmen das Video haben, weil Paulsen ihm in der Jägerschaft zu gefährlich wurde. Sie hatten Streit wegen dieser Naturschutzsache. Und Nahmen hatte Angst, dass sich Paulsen bei den anderen Jägern gegen ihn durchsetzen könnte. Er wollte Paulsen mit dem Video unter Druck setzen. Aber Maarten wollte das nicht. Er hat gesagt, dann sei unser Geschäft am Ende. Er hat seinem Vater vorgeschlagen, noch zwei Monate zu warten, bis wir genügend Geld zusammen hätten. Wir wollten doch nach Amerika.«
»Was hat Nahmen Rickmers darauf geantwortet?«, fragte Lena.
»Er hätte keine zwei Monate Zeit. Die Kacke sei jetzt am Dampfen, nicht in zwei Monaten. Da muss kurz vorher etwas passiert sein – mit einem Bullen, den er abschießen musste.
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