Leander und die Stille der Koje (German Edition)
Nahrung.«
»Sag ich doch, sag ich doch!«, fuhr Mephisto ungeduldig fort. »Oder jedenfalls hätte ich es noch gesagt, wenn ihr mich nicht unterbrochen hättet – du, Tom, mit deinem Redeschwall und ihr Banausen mit eurem beschränkten Schweigen. Also, wie Tom bereits auszuführen sich nicht enthalten konnte, kann man sich mit einem solchen Backhaus quasi selbst versorgen, und genau das gedenke ich von nun an auch zu tun. Da ich aber derart von einem sozialen Gewissen geplagt bin, dass ich mich nicht daran erfreuen könnte, wenn ich es allein in stiller Klause täte, lade ich euch hiermit für Samstagabend zur Einweihung meines Steinbackofens ein!«
Er breitete seine Arme aus wie dereinst Jesus bei der Speisung der Armen und setzte sich dann mit einem selbstgefälligen Lächeln und über der Bauchwölbung gefalteten Händen wieder auf seinen Stuhl.
»Das heißt, es gibt nur Brot?«, erkundigte sich Hindelang mit angewidert hinabgezogenen Mundwinkeln.
»Natürlich nicht, du Schmarotzer«, erwiderte Mephisto aufgebracht. »Natürlich werde ich zu meinem selbst gebackenen Brot Schlachtplatten bislang nie dagewesenen Ausmaßes auffahren.«
»Das ist aber nett von ihm«, wandte sich Brodersen an Leander.
»Wenn ich nur wüsste, was er dafür von uns verlangt«, bestätigte dieser skeptisch.
»Nichts!«, spuckte Mephisto aus.
»Nichts?«, hakte Leander nach.
»Nichts!«, bestätigte Mephisto.
»Nichts«, wunderte sich Brodersen und nickte Hindelang erstaunt zu.
»Gut«, zeigte sich der besänftigt. »Aber zu Leberwurst und Bauernbrot gehört ein frisch gezapftes Landbier, am besten selbst gebraut.«
»Nun lass mich erst einmal das Brotbacken erlernen, zum Bierbrauen komme ich dann später. Zum Glück sitze ich, was das Dionysische anbelangt, an der Quelle.« Er deutete mit beiden Armen um sich und erfasste damit die gesamte Gaststube.
»So, Freunde«, erklärte Tom Brodersen nun und erhob sich. »Ich bin müde und muss ins Bett, morgen früh ist Schule. Gehabt euch wohl, ihr faulen Greise.«
»Schlaf schön, mein Kleiner«, verabschiedete Mephisto den Lehrer.
»Ich schließe mich an«, entschied Leander und stand ebenfalls auf. »Am Samstag bringe ich Lena mit. Wann sollen wir da sein?«
»Achtzehn Uhr wäre mir genehm. Das Wetter bleibt schön, wir werden einen langen Sommerabend in meinem Bauerngarten genießen.«
Brodersen und Leander winkten Mephisto und Hindelang, der sein Bier noch in Ruhe austrinken wollte, zu und verließen das Kleine Versteck .
Draußen verabschiedeten sie sich und zogen jeder seines Weges nach Hause. Auf dem Weg durch die nächtlich stille Fußgängerzoge dachte Leander über die Informationen zum Kojenmord nach, die er heute Abend bekommen hatte. Dabei ging ihm vor allem die merkwürdige Verquickung von Torben Hinrichs in die heimliche Kojennutzung nicht aus dem Kopf. Er nahm sich vor, die Sache aufmerksam zu verfolgen. ›Deformation professionelle‹, erinnerte er sich an Tom Brodersens Kritik und musste leise lachen.
7
Heinz Baginski schob mit seinem Fahrrad über den Sandwall. Heute Morgen wollte er direkt vom Hafen aus auf den Deich fahren und versuchen, bei Hochwasser rastende Vögel in den Binsenflächen hinter dem Deich zu fotografieren. Von der Vogelkoje hatte er erst einmal genug. Doch bevor er den Hafen erreichte, musste er sich zunächst einmal mit den Urlaubermassen herumschlagen, die ihm entgegenströmten – vermutlich Tagesgäste, die von der Fähre kamen und Wyks Innenstadt fluteten, um am Nachmittag in die Gegenrichtung zurückzuschwappen.
In Höhe der Einmündung der Großen Straße lag rechts ein Lebensmittelgeschäft mit Zeitungsständern neben dem Eingang. Heinz Baginski wollte schon achtlos daran vorbeischieben, als ihm ein bekanntes Gesicht vom aktuellen Insel-Boten entgegenblickte: sein eigenes. Verdutzt blieb er stehen und studierte die Schlagzeile über dem Foto: Mord in der Vogelkoje – Hobbyfotograf entdeckt Leiche .
Woher, zum Teufel, hatten diese Zeitungsschmierer sein Konterfei? Na klar, das war das Foto vom letzten Herbst, als er in Bottrop den Ruhrgebiets-Kegel-Pokal gewonnen hatte. Da war er in allen Zeitungen im Ruhrpott abgebildet gewesen. Mein Gott, wenn die Journalisten so einfach daran kamen und es jetzt auch noch in diesem Zusammenhang veröffentlichten, dann schwebte er in größter Gefahr. Schließlich war er der einzige Zeuge dieses abscheulichen Verbrechens, und der Täter konnte ja nicht wissen, dass er eigentlich gar nichts
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