Leander und die Stille der Koje (German Edition)
gesehen hatte. Bestimmt würde der Mörder nun auch ihn, Heinz Baginski, aus dem Weg räumen wollen, und dieses Käseblatt lieferte dem alle Informationen, die der dazu brauchte.
Im Laden hob plötzlich Geschrei an. Ein leicht korpulenter Mann in feinstem Zwirn forderte lautstark, dass der Ladenbesitzer sofort den Insel-Boten aus dem Verkauf nehme.
»So weit kommt das noch«, schrie der Kaufmann in seinem weißen Kittel zurück. »Da wird einem dieses Provinzblättchen endlich einmal aus den Händen gerissen, und dann soll ich den Verkauf einstellen? Du spinnst doch wohl, Bürgermeister!«
»Das zeige ich dir gleich, wer hier spinnt, du erbärmliche Krämerseele!«, brüllte der Bürgermeister zurück. »Sind dir denn die paar Kröten wichtiger als das Ansehen unserer schönen Insel? Was sollen denn die Touristen denken, wenn sie das lesen?«
»Für den Inhalt der Zeitung bin ich nicht verantwortlich. Da musst du in die Redaktion gehen, wenn dir das nicht passt.«
»Das mache ich auch! Und wenn ich gleich zurückkomme, sind die Zeitungen weg, hast du mich verstanden? Sonst muss ich mir das gut überlegen, ob ich deinen Antrag für das Gewerbegebiet unterstütze.«
»Das ist Erpressung!«, brüllte der Ladenbesitzer. »Amtsmissbrauch ist das. Pass bloß auf, ob du nächstes Mal wiedergewählt wirst, wenn du so mit uns Geschäftsleuten umgehst. Vergiss man nicht, wen du hier vor dir hast. Ich bin der Vorsitzende der Föhrer Kaufleute, mein Lieber. Wenn wir gegen dich sind, ist keiner mehr für dich!«
Wutschnaubend hetzte der Bürgermeister aus dem Laden und direkt an Heinz Baginski vorbei, der verdattert vor dem Zeitungsständer stand.
»Mensch, Volkmar«, hörte er nun die Frau des Ladenbesitzers kleinlaut sagen. »Überleg dir das. Die paar Zeitungen sind doch den Aufstand nicht wert. Wir brauchen die Stimme des Bürgermeisters, wenn wir im Gewerbegebiet bauen wollen.«
»Ich lass mich doch nicht erpressen«, antwortete ihr Ehemann, aber das klang schon nicht mehr so überzeugt.
Heinz Baginski stellte sein Fahrrad auf den Ständer und griff so viele Zeitungen, wie er mit einem Mal fassen konnte. Bevor die Ausgabe aus dem Verkehr gezogen wurde, wollte er sich ein paar Exemplare sichern. Einerseits musste er wissen, was in dem Artikel stand, damit er dieselben Informationen hatte wie sein zukünftiger Mörder, andererseits war dies ein Mitbringsel für seine Freunde und Verwandten, mit dem er endlich einmal so richtig angeben konnte. Er zahlte bei den sich leise weiter streitenden Kaufleuten und trat dann den Rückzug in seine Ferienwohnung an. Bevor er noch einen Fuß in die Öffentlichkeit setzen konnte, musste er zunächst einmal alles erdenklich Mögliche für seinen Schutz tun.
Auch Henning Leander war an diesem Morgen in der Fußgängerzone unterwegs, allerdings hatte er sein Exemplar der Zeitung bereits unter dem Arm, da er es jeden Tag geliefert bekam. Er steuerte die Strandpromenade an, um heute einmal im Café Aquamarin zu frühstücken und in Ruhe zu lesen. Als er am Buchladen Bu-Bu vorbei kam, war nicht wie an normalen Tagen nur die Kramkiste umlagert, sondern auch der Zeitungsständer. Jens Hoss schob klingelnd sein Lieferfahrrad mit dem großen Korb über dem Vorderrad von der Großen Straße her durch die Touristenströme und sah heute mit der kurzen Hose, den breiten bunten Hosenträgern und einem schelmischen Lachen unter seinem Lockenschopf einmal mehr wie Max und Moritz in einer Person aus. Er hatte offensichtlich gerade in der Verkaufsstelle des Insel-Boten Nachschub geholt und grüßte Henning Leander überschwänglich.
»Liebe Eltern!«, rief er. »Ich weiß nicht, was ich euch schreiben soll. Aber eins kann ich euch sagen: Hier ist was los!« Lachend stellte er das Fahrrad auf seinen Ständer und wuchtete die Zeitungspakete herunter, um mit dem Ausruf »Nun lasst mich doch mal durch, Leute!« im Laden zu verschwinden.
Der wird nie erwachsen, dachte Leander und strebte weiter den Sandwall entlang. Kurz vor seinem Ende, an der Abzweigung zum Strand, wurde gerade ein Holzkasten mit Sand gefüllt. Das war offensichtlich die Basis für den Leuchtturm, der hier entstehen sollte. Daneben war ein Infostand eingerichtet, an dem man das Programm der Festwoche bekommen konnte. Leander griff sich ein Exemplar und bog dann zur Strandpromenade ab.
Das Café Aquamarin war das ehemalige Wellenbadcafé in neuem, modernem Gewand. Eine kleine Holzterrasse mit Tischen und bequemen Sesseln erstreckte
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