Leander und die Stille der Koje (German Edition)
die junge Vogelwartin zur Begrüßung in den Arm.
»Seit wann bist du hier?«
»Vor zwei Stunden angekommen.«
Eiken griff sich wie selbstverständlich einen Stuhl und setzte sich zu ihnen. »Oder störe ich?«, fragte sie pro forma.
»Quatsch«, antwortete Leander. »Möchtest du auch Mohnkuchen? Ich gehe rein und bestelle dir ein Stück.«
»Keine Zeit«, antwortete Eiken Jörgensen. »Ich muss gleich wieder ins Büro. Ihr macht euch kein Bild davon, was da zurzeit für ein Chaos herrscht. Der Leiter der Schutzstation hat sich aufs Festland verkrümelt und mir den ganzen Kram zurückgelassen.«
»Ich habe schon gehört, dass du Karriere machst«, zeigte sich Leander beeindruckt und fuhr auf Lenas fragenden Blick hin fort: »Eiken ist die neue Leiterin der Schutzstation Wattenmeer hier auf Föhr.«
»Alle Achtung. Da hast du sicher viel zu tun, um dich in den Verwaltungskram einzuarbeiten, oder?«
Eiken nickte, winkte dann aber nach der Kellnerin und sagte: »Ach, Quatsch. Für seine Freunde muss man immer Zeit haben. Einen Cappuccino, bitte.«
»Sollen wir dich jetzt bemitleiden, oder können wir dir gratulieren?«, fragte Leander.
»Wenn ich erst einmal selber begriffen habe, was passiert ist, dürft ihr gratulieren«, antwortete Eiken lachend. »Ich kann es noch gar nicht fassen: Leiterin der Schutzstation Wattenmeer. Und das, obwohl ich selber erst ein paar Jahre dabei bin. Aber meine Zählkünste beim Vogelzug im letzten Winter müssen wohl überzeugt haben.« Sie formte in der Luft mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand den typischen Zählgriff der Ornithologen, mit dessen Hilfe sie Zehnergruppen vorbeifliegender Vögel in der Luft überschlägig erfassen konnten, denn an das Zählen einzelner Vögel war bei den sich ständig verändernden Formationen der riesigen Vogelschwärme nicht zu denken.
Dann lehnte sie sich zurück und betrachtete Lena mit besorgtem Gesichtsausdruck. »Du siehst blass aus. Wird Zeit, dass du Urlaub machst und unsere gesunde Seeluft genießt.«
»Der Urlaub muss leider noch etwas warten. Zunächst bin ich noch dienstlich hier, bis der Mord in der Vogelkoje aufgeklärt ist.«
»Was hat denn das LKA mit einem normalen Mord zu tun? Oder ist das kein normaler Mord?«
»Was ist an einem Mord schon normal?«, antwortete Lena ausweichend.
»Ich dachte, die Kripo aus Flensburg bearbeitet den Fall.«
»Bis heute hat sie das auch gemacht. Aber ab sofort liegt die Leitung in meinen Händen. Allerdings arbeite ich mit einem der Kommissare aus Flensburg zusammen.«
Eiken nickte wissend und erklärte dann: »Die Schutzstation ist im Gebäude des Amtes Föhr – Amrum, dem früheren Rathaus. Deshalb bekomme ich natürlich mit, was da getratscht wird. Der Bürgermeister hat Theater gemacht, weil die Flensburger nicht nach seiner Pfeife gesprungen sind, stimmt’s? Na, da ist er ja jetzt vom Regen in die Traufe gekommen. Und dass er sich wieder nach allen Seiten absichert und die Flensburger nicht ganz rauskickt, sieht ihm ähnlich.«
»Wieso?«, hakte Leander nach.
»Na, der will einerseits die Fäden in der Hand behalten, aber andererseits will er nicht den Eindruck erwecken, dass er den Parteienfilz für seine Zwecke nutzt. Er hat eh schon jede Menge Theater mit den Grünen und seinen eigenen Leuten, weil er sich in der Elmeere -Sache nicht eindeutig verhält. Da sitzt er regelrecht zwischen den Stühlen. Wenn die Grünen ihm jetzt noch vorwerfen können, dass er die Ermittlungen in einem Mordfall behindert, weil er seinen politischen Gegnern schaden will, kann er seine Wiederwahl vergessen. So einen Skandal kann er sich auf einer Insel nicht erlauben. Wenn sich dann noch herausstellen sollte, dass Günter Wiese oder Melf Albertsen die Mörder sind, dann hat er seinen Parteifreunden einiges zu erklären. Zum Beispiel, warum er so lange schützend die Hände über den Verein Elmeere gehalten hat.«
»Was erzählt man sich denn sonst so über den Mord?«, erkundigte sich Lena. »Du hörst doch bestimmt wesentlich mehr als wir, schließlich gehörst du hier dazu.«
»Der Mord hat die Menschen aufgerüttelt, dadurch fühlen sich alle irgendwie bedroht. Natürlich machen sich die Insulaner Gedanken, wer Nahmen Rickmers ermordet haben könnte. Und in einem sind sich alle einig: dass es kein Insulaner gewesen sein kann.«
»Wieso nicht?«, fragte Lena erstaunt. »Welchen Grund sollte ein Urlauber haben, Rickmers zu töten?«
»Nein, kein Urlauber, aber eben auch kein Insulaner,
Weitere Kostenlose Bücher