Leander und die Stille der Koje (German Edition)
verstehst du? Sie glauben, dass nur einer der Zugezogenen der Täter sein kann. Insulaner streiten sich heftig, wenn es sein muss, auch über Generationen, aber sie bringen einander nicht um.«
»Du sprichst von den Leuten, die diesen Verein gegründet haben«, stellte Leander fest. »Ich habe gehört, dass der Vorsitzende irgendwann vom Festland gekommen ist.«
»Stimmt. Günter Wiese lebt zwar schon vierzig Jahre oder länger hier, aber dadurch ist er noch lange kein Insulaner. Die Einheimischen halten ihn oder seinen Stellvertreter, Melf Albertsen, für den Täter. Elmeere hat viele Feinde hier: die Bauern, die Jäger, aber auch die Fischer, also alle ursprünglichen Berufsgruppen, die ein älteres Anrecht auf das Land und das Meer zu haben glauben. Anfangs haben die Fischer noch nichts gegen die renaturierten Flächen gehabt, aber seit sich immer mehr Kormorane auf Föhr ansiedeln, die ihnen Konkurrenz machen, sind sie auch dagegen. Außerdem hat Wiese irgendwann angefangen, Stimmung gegen die Bodennetze der Krabbenfischer zu machen, und das können die gar nicht ab.«
»Und du?«, erkundigte sich Leander. »Hältst du Wiese auch für den Mörder?«
Eiken schüttelte den Kopf. »Wiese ist ein kompromissloser Umweltschützer und eine absolute Nervensäge, aber er ist sicher kein Mörder. Sein Ansatz ist auch nicht falsch. Und er ist grundehrlich. Jeder gespendete Cent wird in den Landkauf gesteckt. Alle Kosten, die mit der Verwaltung oder den Inselführungen anfallen, trägt er selber. Für den hat der Begriff Ehrenamt noch eine tiefe Bedeutung. Leider agiert er manchmal wie ein Fanatiker, der mit dem Kopf durch die Wand will. Für ihn gibt es nur den hundertprozentigen Naturschutz, Kompromisse lehnt er ab. Wenn du aber etwas erreichen willst, musst du wie ein Politiker denken und handeln. Schau dir die Schutzstation Wattenmeer an: Wir haben in relativ wenigen Jahren wirklich etwas auf die Beine gestellt, wir sind neben der Verwaltung des Nationalparks Wattenmeer die bedeutendste Organisation in Sachen Naturschutz an der Nordseeküste. Das ging aber nur, weil wir uns mit den Interessen der anderen Gruppen auseinandergesetzt haben. Und gelegentlich haben wir auch zurückgesteckt. Wiese kann das nicht, der muss immer seinen Dickkopf durchsetzen.«
»In der Zeitung stand, dass er sich darüber beklage, Unterstützung nur vom Verein Jordsand zu bekommen, und auch das nur in homöopathischen Dosen. Warum unterstützt ihr seine Arbeit denn nicht? Schließlich verfolgt ihr dieselben Ziele, da sollte es doch möglich sein, an einem Strang zu ziehen.«
»So einfach ist das alles leider nicht. Wiese geht unsere Arbeit nicht weit genug. Wir gewinnen Land durch die Lahnungen, die wir ziehen. Das kennst du ja vom Vorland her. Die Salzwiesen, die dadurch entstehen, sind wertvolle Rast- und Brutgebiete für die Seevögel. Aber wir arrangieren uns auch mit den Bauern hier auf der Insel, deren Interessen genauso berechtigt sind. Wiese geht das nicht schnell und nicht weit genug.«
»Das kann doch nicht alles sein. Irre ich mich, oder besteht zwischen euch so eine Art Konkurrenz?«, wandte Leander ein.
»Da ist was dran«, gab Eiken zu. »Es gibt inzwischen sehr viele Organisationen, die sich im Naturschutz tummeln, und die staatlichen Mittel sind begrenzt. Auch die Touristen spenden ihren Euro immer nur einmal. Wieses Umweltschutz ist spektakulär, er kann mit seiner Formel € = m 2 , also für einen Euro kann man einen Quadratmeter Land kaufen, ausgesprochen griffig zeigen, was mit den Spenden der Urlauber geschieht. Wenn wir Reisig für die Lahnungen antransportieren lassen oder Gehälter für das Zählen von Vogelschwärmen bezahlen, ist das zu abstrakt. Mein Vorgänger hier hätte den Sprung in die Zentrale nicht geschafft, wenn er die Interessen der Schutzstation nicht so vehement verteidigt hätte. Ich würde Günter Wiese gerne mehr unterstützen, aber mir sind die Hände gebunden. Außerdem ist Elmeere ja nicht nur Wiese. Sein Partner oder Stellvertreter, Melf Albertsen, fährt einen anderen Kurs. Der ist eher dafür, Umweltschutz und Wirtschaft auf einen Nenner zu bringen. Er baut auf Einsicht, weil Umweltverschmutzung ja nicht nur Kosten für die Allgemeinheit bedeutet, sondern auch für die Landwirte auf der Insel.«
Lena und Leander sahen Eiken nun so verständnislos an, dass sie betont geduldig erklärte: »Wenn Bauern durch intensiven Maisanbau ihre Böden zugrunde richten, haben sie langfristig auch selbst
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