Leander und die Stille der Koje (German Edition)
Umweltschutz haben muss.«
»Doch, genau das heißt es. Umweltschutz ist schon lange kein Hobby von Freizeitdemonstranten und Weltverbesserern mehr. Er ist ein existenzielles Problem der Industrie, die immer mehr Geld ausgeben muss, wenn sie ihren eigenen Anspruch erfüllen und gesunde Nahrungsmittel produzieren will. Wer zum Beispiel für die Produktion von Bier oder das Abfüllen von Gemüse in Dosen sauberes Wasser braucht, hat heute hohe Kosten durch Tiefenbohrungen oder aufwendige Kläranlagen, die sich direkt in der Bilanz des Unternehmens niederschlagen und damit den Gewinn schmälern. Das war früher anders, da ist die Allgemeinheit für die Reparatur der Umweltschäden aufgekommen. Heute tritt das Gemeinlastprinzip immer mehr hinter das Verursacherprinzip zurück, was dazu führt, dass die Umweltzerstörer dafür auch direkt oder indirekt zur Kasse gebeten werden. Dazu kommt die Tatsache, dass Umweltschutz eine Imagefrage ist und verkaufsfördernd wirkt. Seit den siebziger Jahren, als die Umweltbewegung so richtig in Schwung gekommen ist, hat sich da sehr viel verändert. Ich weiß, das klingt alles sehr theoretisch, aber genau deshalb ist es ja so wichtig, dass wir im Kleinen und im ganz konkreten Fall hier vor Ort es hinbekommen, Ökonomie und Ökologie miteinander zu versöhnen. Für diesen Versuch setze ich mich ein, seit ich für Elmeere arbeite.«
»Für mich klingt das so, als stände Ihnen Günter Wiese dabei mehr im Weg als Nahmen Rickmers«, lenkte Lena das Gespräch auf den Anlass ihres Besuches. »Der stand doch eher in dem Ruf, Ihnen sehr entgegenzukommen.«
»Auch wenn ich mich dadurch nicht entlaste, muss ich Ihnen leider widersprechen. Nahmen Rickmers hat sich zwar ziemlich durch den Streit hindurchlaviert, aber er war noch lange kein Vertreter der ökologischen Seite. Wissen Sie, die Jäger bezeichnen sich gerne als die wahren Naturschützer mit ihrer angeblichen Hege und Pflege, aber Sie müssen sich nur einmal ansehen, was für eine Vorstellung von Naturschutz Rickmers hatte. Er hat in der Marsch eigene Ausgleichsflächen geschaffen, sofern man das überhaupt so nennen kann. Dabei handelt es sich um kleine Teiche mitten in den Wirtschaftsflächen – viel zu klein, um tatsächlich Vögel anzulocken, und mit einem so hohen Uferbereich, dass die Tiere die Umgebung nicht im Auge behalten können und sich deshalb nicht sicher fühlen. Er hat sich schlicht ein falsches Vorbild an der Anlage der Vogelkojen genommen, und deshalb werden seine Tümpel von den Tieren auch nicht angenommen. Rickmers war kein Umweltschützer. In Wahrheit wollte er nicht anecken. Er war nicht Fisch und nicht Fleisch. Da ist sein Stellvertreter Paulsen schon eine Nummer härter. Deshalb gab es ja auch ständig Streit zwischen Paulsen und Rickmers. Wenn Sie mich fragen, sollten Sie da ansetzen. Allerdings haben Sie durchaus recht, wenn Sie annehmen, dass Günter Wiese und ich nicht das geringste Interesse an Nahmen Rickmers’ Tod hatten.«
»Gut, Herr Albertsen, trotzdem müssen wir Sie nach ihrem Alibi für den Tatzeitpunkt fragen«, kam Lena auf den entscheidenden Punkt.
»Ich habe keins«, gestand Albertsen. »Bis etwa zweiundzwanzig Uhr war ich hier in der Praxis und habe die Abrechnungen fertig gemacht. Meine Sprechstundenhilfe hat um achtzehn Uhr Feierabend und kann das entsprechend nicht bestätigen. Dann bin ich nach Hause gefahren; ich habe ein kleines Häuschen in Hedehusum. Ob mich auf dem Weg jemand gesehen hat, weiß ich nicht. Ich jedenfalls habe niemanden gesehen. Um die Zeit ist auf den Straßen in Utersum nichts mehr los.«
Lena schaute ihn fragend an, aber Albertsen zuckte nur mit den Schultern.
»Sind Sie nicht verheiratet?«, fragte Bennings.
»Doch, aber meine Frau ist mit der Kleinen ausgezogen. Sie hat das alles hier nicht mehr ausgehalten. Jetzt arbeitet sie in einer Logopädie-Praxis auf dem Festland, in St. Peter-Ording. Vielleicht ist es besser so. Wenn ich mir vorstelle, was meine Tochter hier in der Schule auszuhalten hätte … Ehrlich gesagt, stehe ich das auch nicht mehr lange durch.«
Der Arzt machte tatsächlich den Eindruck auf Lena, dass er jeden Moment vor ihnen kollabieren konnte. Er saß zusammengesunken mit vorgeschobenen Schultern auf seinem Stuhl und blickte deprimiert auf die Tischplatte. Seine Hände waren jetzt nur noch weiß, so sehr verkrampfte er die Finger ineinander. Lena und Dieter Bennings blickten sich kurz an und waren sich offenbar einig darin, dass sie
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