Leandra - Die Amazonenprinzessin (German Edition)
sein, sondern einer des Triumphs. Nun war der Tag gekommen, an dem Neria den Palast endgültig verlassen würde.
Eine Weile blieben sie schweigend am Kopfende des Sarges stehen, dann gab Akrissa ein Zeichen, und die sechs Frauen hoben den Sarg hoch, um ihn in den Palasthof zu tragen. Dort stand bereits ein Wagen, der nach den Traditionen der Amazonen mit Wurfsternen statt mit Blumen geschmückt war. In der untergehenden Sonne schimmerten sie rot, und der Wind ließ sie klirren. Es klang, als würde in der Ferne ein Kampf stattfinden.
Nachdem die Leichenträgerinnen den Sarg auf den Wagen gestellt hatten, brachte eine Amazone Eringha, Nerias Stute. Sie war gezäumt, als würde sie gleich eine Kriegerin in die Schlacht tragen, aber der Sattel war leer, nur die Waffen der Königin waren an ihm befestigt. Früher hätte man die Stute getötet, damit sie in der anderen Welt weiterhin ihrer Herrin dienen konnte. Königin Pheline hatte diesen Brauch abgeschafft, weil wegen ihm fast die besten Zuchtlinien Tehunas ausgerottet worden waren.
Eringha wurde hinten am Wagen festgebunden und der Trauerzug machte sich auf dem Weg zum Tempel. Während Akrissa zusammen mit Prinz Darius dem Sarg in angemessenen Abstand folgte, beobachtete sie die Amazonen am Straßenrand. Alle hatten die Köpfe gesenkt und sangen ein gefühlvolles Abschiedslied, das sehr traurig klang. Über einige Wangen liefen sogar Tränen. Mich werden sie eines Tages ebenso verehren , dachte Akrissa.
Der Trauerzug erreichte den Tempel der Kriegsgöttin, und die Leichenträgerinnen stellten den Sarg vor den Toren ab. Mittlerweile war es Nacht geworden, und dichte Wolken verbargen das Licht der Sterne. Akrissa konnte sich nicht erinnern, jemals eine so dunkle Nacht erlebt zu haben. Die Luft wirkte erfüllt von Trauer und Trostlosigkeit, und die Hohepriesterin erschien auf der Mauer. Eine Zeit lang stand sie nur da und blickte auf die Menschen nieder.
Endlich begann Ciara zu sprechen: „Der Tod steht am Ende allem Vergänglichen, und daher ist das Leben das wertvollste Geschenk, das wir Menschen erhalten. Amazonen haben den Tod ständig an ihrer Seite, und wir wünschen uns, auf dem Schlachtfeld zu sterben. In Wirklichkeit ist es gleich, ob dort oder im Bett, so lange unsere Taten der Göttin gefallen haben. Königin Neria hat ihr Leben dem Dienste Tehunas gewidmet, und Isen freut sich die Arme ausbreiten zu können, um ihre Tochter zu willkommen zu heißen.“
Die Tore öffneten sich, und aus dem Tempel traten sechs schwarz gewandete Priesterinnen, deren Gesichter von Masken verdeckt wurden. Schweigend näherten sie sich dem Sarg und nahmen ihn mit sich in dem Tempel, wo Neria ihre letzte Ruhestätte in der Gruft der Königinnen finden würde.
Bedrückende Stille herrschte, als die Tore des Tempels wieder geschlossen wurden, und die Menschen sahen zur Hohepriesterin auf.
„Ich spüre Eure Trauer“, sagte diese, „und die Leere, die Königin Nerias Tod zurückgelassen hat. Isen wird diese Leere mit Zuversicht füllen. Seht das Symbol unserer Göttin und begreift, dass sie uns nie verlässt.“ Ciara hob einen runden, verhüllten Gegenstand empor, zog das schwarze Tuch fort, und goldener Glanz blendete alle. Es handelte sich um den Heiligen Schild der Isen, dem wertvollsten Schatz der Amazonen. Die Kriegsgöttin selbst hatte ihn Khalida geschenkt.
„Danken wir Isen, dass sie uns eine Amazone gab, die den Thron besteigen kann.“
Gleichmäßige Trommelschläge ertönten, und die Flügeltüre wurden für Akrissa geöffnet. Ohne zu zögern, betrat sie den Tempel und wendete sich nach rechts, um die Treppen hinaufzusteigen. Wenig später stand sie vor der Hohepriesterin. Das war der Moment, auf dem Akrissa so lange gewartet hatte, deshalb lauschte sie gespannt der Rede Ciaras.
„Wirst du der Göttin Isen dienen und dieses Land beschützen?“, fragte die Hohepriesterin schließlich.
„Mein Herz folgt nur dem Willen der Kriegsgöttin und für das Wohl dieses Landes würde ich mein Blut vergießen und mein Leben hingeben.“
Ciara legte Akrissa den roten Königsmantel um die Schultern und setzte ihr das königliche Diadem aufs Haupt, danach wandte sich die Hohepriesterin ans Volk: „Von nun an wird Akrissa über Tehuna herrschen. Begrüßt Eure Königin und zeigt ihr Eure Verehrung!“
Die Amazonen brachen in Jubel aus, und Akrissa berauschte sich daran wie an einem Wein. Nicht nur das Land Tehuna gehörte ihr, sondern auch die Herzen der Menschen, und bald würde
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