Leaving Paradise (German Edition)
mein Pult gebeugt da. Den Tisch hat man in sein Büro gestellt, damit ich die gefürchteten Prüfungen ablegen kann.
Ich hätte nicht in die Schule zurückkehren sollen. Im DOC habe ich am Unterricht teilgenommen, es war Teil des Haftprogramms, also sind die Tests nicht das Problem. Es ist die Art, wie Meyer mich anstarrt, als hätte er noch nie in seinem Leben einen Exsträfling gesehen. Die unerwünschte Aufmerksamkeit treibt mich in den Wahnsinn.
Ich konzentriere mich auf den zweiten Test, der an diesem Morgen vor mir liegt. Es ist nicht so, als hätte ich die bisherigen Aufgaben mit Sternchen gemeistert, aber ich habe sie auch nicht in den Sand gesetzt.
»Bist du fertig?«, fragt Meyer.
Ich habe noch eine Algebraaufgabe zu lösen, aber da der Typ mir dermaßen auf die Pelle rückt, ist es fast unmöglich, sich zu konzentrieren. Ich gebe mein Bestes, die Frage richtig zu beantworten, weil ich es nicht vermasseln will.
Ich brauche fünf Minuten länger, als ich sollte, aber dann bin ich endlich bereit für die nächste Prüfung.
»Geh was essen, Becker«, weist Meyer mich an, nachdem er den Test eingesammelt hat.
Was essen? In der Cafeteria mit der halben Schülerschaft? Auf gar keinen Fall, Mann. »Ich habe keinen Hunger.«
»Du musst etwas essen. Gönn deinem Gehirn ein bisschen Futter.«
Was soll das schon wieder heißen? Hör auf so paranoid zu sein, befehle ich mir. Das ist ein Nebeneffekt davon, weggesperrt zu werden. Man analysiert ständig, was die Leute sagen und wie sie gucken, als würden sie mit einem spielen. Ein Witz auf Kosten des Exknackis. Ha, ha.
Ich stehe auf. Vor der Tür des Direktors warten mehr als vierhundert Schüler darauf, einen Blick auf den Typen zu werfen, der im Knast war. Ich massiere den Knoten in meinem Nacken, der soeben zurückgekehrt ist.
»Geh schon«, drängt Meyer. »Du hast noch drei Prüfungen vor dir, als setz deine Füße in Bewegung. Sei in fünfundzwanzig Minuten wieder hier.«
Ich lege meine schwitzende Handfläche auf die Türklinke, drücke sie runter und hole tief Luft.
Draußen auf dem Gang verliere ich keine Zeit und gehe sofort zur Cafeteria. Als ich drin bin, ignoriere ich alle Blicke. Kaffee, ich brauche einen starken schwarzen Kaffee. Der wird meine Nerven beruhigen und mich den Rest des Nachmittags wach halten. Während ich mit meinem Blick den Raum absuche, fällt mir ein, dass es für die Schüler keinen Kaffee gibt. Ich wette, im Lehrerzimmer haben sie aber eine Kaffeekanne. Würden ihnen auffallen, wenn ich eine Tasse abzweige? Oder würden sie die Polizei rufen und behaupten, zusätzlich zu all den anderen Etiketten, die sie mir auf die Stirn tätowiert haben, sei ich auch noch ein Dieb?
Ich entdecke meine Schwester ganz allein an einem Tisch. Früher saß sie immer mit Maggie und ihren anderen Freundinnen zusammen und kicherte und flirtete mit meinen Freunden.
Das war das Ätzende daran, einen Zwilling vom anderen Geschlecht zu haben. Es war übel genug, als meine Schwester in meine Freunde verknallt war und uns auf den Zeiger ging, wenn sie bei mir waren. Sie schminkte sich und kicherte rum und flirtete … es ist mir immer noch megapeinlich, wenn ich daran denke. Aber noch viel schlimmer war, als mir klar wurde, dass die Zeiten sich geändert hatten und meine Freunde ihr tatsächlich an die Wäsche wollten. Das veränderte die Spielregeln dramatisch. Ich habe letzten Sommer viel Zeit damit verbracht, meinen Freunden zu drohen, ihnen die Eier abzuschneiden. Ich habe meine Schwester immer beschützt, ihren Ruf genauso wie ihren Status in der Highschoolhackordnung.
Ein Jahr ist seitdem vergangen.
Mann, haben sich die Dinge verändert. Jetzt macht sich niemand auch nur die Mühe, einen Blick in Leahs Richtung zu werfen.
»Hi, Schwesterherz«, sage ich und setze mich rittlings auf die Cafeteriabank ihr gegenüber.
Leah dreht Spaghetti auf ihre Gabel, das warme Mittagsangebot des Tages. »Ich habe von den Prüfungen gehört«, sagt sie.
Ich stoße ein kurzes, zynisches Lachen aus. »Mein Hirn ist schon gegrillt und ich habe noch drei vor mir.«
»Glaubst du, du bestehst?«
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
»Es heißt, Morehouse hat sich einen Sozialkundetest ausgedacht, den du unmöglich schaffen kannst.«
Habe ich meine Schuld der Gesellschaft gegenüber nicht schon beglichen? »Echt?«
»Ja. Caleb, was ist, wenn du durchfällst?«
Darüber will ich nicht nachdenken, also ignoriere ich ihre Frage. Als ich zufällig
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