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Lebe deine eigene Melodie

Lebe deine eigene Melodie

Titel: Lebe deine eigene Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irmtraud Tarr
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Aufforderung, sorgfältig und fürsorglich mit uns selbst umzugehen. Allein schon die Erleichterung, dass Stress so langsam zum Fremdwort gerät, dass die Urlaube im Zweimannzelt endgültig passé sind, dass die Badezimmerwaage hoffentlich entsorgt ist – eine »Eichhose« tut es nämlich auch – und dass man nicht mehr alles selbst macht, sondern den Profis überlässt, ist doch eine produktive Erfahrung, die wir unserer Dünnhäutigkeit verdanken.
    Wir sind alt genug, die eigene Zeit nur noch für Dinge zu verwenden, die wir wirklich gerne tun. Wir sind es uns schuldig, nur noch guten Wein zu trinken. Und schließlich dürfen wir uns erlauben, hin und wieder zu schwänzen, um spazieren zu gehen, im Café oder in der Sonne zu sitzen. Eine Freundin ergänzte: »Ich würde nie mehr unterwürfig
sein, sondern auf Augenhöhe protestieren, weil mir an einer Welt gelegen ist, in der die Qualität nicht der Banalität geopfert wird.«
    Selbst wohlmeinende Bücher über das Altern enden meist damit, dass wir uns am Rande bewegen. Auch wenn die Schwarz-Weiß-Malerei des Alters inzwischen abgeflaut ist und die Älteren nicht mehr als grauer Block, eher als bunter Haufen gesehen werden, so fällt doch auf, dass es nur so hagelt von Vorschlägen, Reisen und Veranstaltungen meist belehrender, erhebender Natur, wo sie fein unter ihresgleichen bleiben. Seniorenrabatte, Seniorenteller, Seniorentreffs, die Unterbringung in Gruppen mit ihresgleichen, die Kaffeefahrten und die Verfrachtung in klimatisierten Bussen – all das erinnert sehr an die möglichst reibungslose Verwahrung von Kleinkindern, die man mit ein paar Süßigkeiten ablenkt, weil sie eigentlich nur stören.
    Inzwischen gehen wir diesen zugewiesenen Sinnvorschlägen nicht mehr auf den Leim. »Die Typen verweigern sich«, schreibt die Soziologin Margrit Kinsler. Inzwischen haben viele eine gewisse Medienresistenz entwickelt und finden heutzutage andere Dinge wichtiger als die, die wir für wichtig halten sollten. »Mein Sinn ist nicht dein Sinn«, so lautet die Kurzformel des Wiener Soziologen Alfons Rosenmayr als Motto des Widerstands gegen die uns zugewiesenen Reservate. Die Älteren wehren sich – was den Werbeleuten natürlich nicht sehr in den Kram passt – nicht lautstark, sondern eher verhalten, indem sie sich entziehen und die freundlichen Angebote wohlmeinender, sonniger Altersbilder das sein lassen, was sie sind: nette Angebote. Eine pensionierte Kindergärtnerin spricht noch heute ziemlich bockig, wenn sie an ihre erste und einzige Kreuzfahrt zurückdenkt: »Wie konnte ich bloß solch einen Schwachsinn mitmachen! Erstens war es furchtbar langweilig, weil
es außer sehr viel Essen, sehr viel merkwürdigen Leute und sehr viel Wasser ringsum nichts gab, was irgendwie interessant war. Nein danke, das muss ich nicht mehr haben.«
    So wie Winston Churchill mit den Worten »I’d prefer not to« sein Recht auf »No sports« für sich beanspruchte, steht es uns gut, elegant und mit frecher Gelassenheit Dinge zu unterlassen, die den Geist auf der Strecke lassen. Vielleicht ist der Vorteil der Dünnhäutigkeit, dass er uns sensibilisiert für Belehrungen, Beschwichtigungen, betuliche Übergriffe und besserwisserische Appelle, die uns vorgaukeln, Sinnvolles, Sinnstiftendes, Nutzbringendes für uns zu tun, als wäre unser Leben scheinbar sinnlos. Nachdenken und abwägen wollen wir selbst, deswegen kaufen wir nicht das, was wir kaufen sollten; deswegen lassen wir weg, was den Blick für das Wesentliche verkleistert.
    Wir fahren zwar langsamer, aber wir sehen klarer. Und vor allem können wir uns jetzt diese Aufmüpfigkeit gönnen, die uns erlaubt, all die freundlichen, netten Fassaden fallen zu lassen. Frauen fällt es nachweislich schwer, sich selbst zu vertreten, Nein zu sagen, und bei Kritik, wie undankbar und eigentümlich sie seien, nicht gleich an sich selbst zu zweifeln. Vielleicht vertreibt das Zeigen von Ecken und Kanten andere, mit denen man bis dahin im besten Einvernehmen schien. Manchmal gehört eben eine Portion Mut dazu, selbst zu realisieren, dass man auch anders und mutiger sein kann, als man bisher von sich dachte. Aber die Einsicht, dass Älterwerden uns oft auf schmerzliche Weise wieder damit konfrontiert, dass wir angepasster sind, als es uns lieb ist, könnte ein erster Schritt aus der Altersfalle sein.

Freiheit beginnt mit 60
    In dieser Lebensperiode geschieht etwas Einmaliges, das in keiner der anderen Lebensphasen zu finden ist: wir sind frei

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