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Lebe deine eigene Melodie

Lebe deine eigene Melodie

Titel: Lebe deine eigene Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irmtraud Tarr
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Wünsche und Pläne er verwirklichen will. Wer bestimmt denn heute, was altersgemäß ist? Wie kann ein anderer wissen, was für mich gut sein soll? Deswegen provozieren solche Fragen meist ein ärgerlich ausgesprochenes oder gedachtes »Noch«: »Ich bin noch da. Es gibt mich noch. Ich will selbst noch ausprobieren, was für mich passt.«
    Die Neigung zu solch ungebetenen Noch-Fragen hat damit zu tun, dass die andere Person sich mit uns identifiziert, um sich unser Handeln verständlich zu machen. Sie versucht sich vorzustellen, wie sie selbst in unserer Lage handeln
würde. Deswegen mag es überraschen, dieses »Noch« gilt womöglich nicht so sehr unserem Noch-Tun und Nochnicht-Lassen, als vielmehr der eigenen Selbstvergewisserung des Anderen. Das ist es wohl, was uns irritiert, wir wollen nicht ungebeten zum Empfänger fremder Selbstgespräche werden. Vor allem bei diesem Reizthema, das nach wie vor mit archaischen Bildern gespickt ist, die auf vielerlei Weise unterschwellig nachwirken, in denen Älterwerden reduziert wird auf krank, gebrechlich, geschlechtslos, schwerfällig, schwerhörig, starrsinnig. Oder eben die verharmlosende Version, die einen nicht mehr als Gegenüber ernst nimmt: die nette, alte Dame, die liebe Omi, das interessante alte Mädchen, die Kaffeetante. Die Allesversteherin. Diese abschreckenden Bilder existieren ja nicht nur in der öffentlichen Darstellung, sie leben auch in uns als Angst, dass womöglich doch etwas dran ist, wenn das Alter so schwarz gemalt wird.
    Was setzt man dem entgegen? Jeder kann nur für sich Selbstachtung, Selbstvertrauen und Wachsamkeit üben. Auch wenn die Zahlen, die auffällig über der Fünfziger-Linie liegen, an Mangel, Verlust und Verfall erinnern, dürfen wir uns fragen, was wir von diesem Kalenderwerk halten, das man sich für uns ausgedacht hat, um dieses Gespenst »Zeit« in den Griff zu bekommen. Wir müssen nicht wegen einer abstrakten Zahl auf der Geburtstagstorte altern. Wir sind Einzelwesen, die ihre eigene besondere Geschichte an Erfahrungen, Widerfahrnissen und Erlebnissen haben, deren Spur uns in verschiedene Lebenskapitel begleitet.
    Früher gab es den gesellschaftlich vorgeschriebenen Kodex und die Tradition, die einem eine bestimmte Altersidentität vorschrieb. Da wuchs man hinein, ob es einem passte oder nicht, und hatte keine Wahl – abgesehen von wenigen Ausnahmen, die sich manchmal sogar noch unter
unseren Großmüttern finden. Schaut man alte Bilder an, so ging es den Männern ähnlich, allerdings wurden sie etliche Jahre später zu gesetzten älteren Herren in steifen Anzügen.
    Wir müssen uns heute auf unseren eigenen Verstand und unser Gefühl verlassen, wenn wir uns ohne Vorbilder und in Ablehnung der alten Rollen in unserem neuen Alter zurechtfinden wollen. Tradierte Muster funktionieren nicht mehr, ebenso wenig wie die Versuche, die Ambitionen von Frauen durch alte Rollenzuschreibungen zu limitieren. Bewundernde Beachtung finden vor allem Prominente, Künstler oder Außenseiter. Die Anderen werden schlicht älter, mehr oder weniger interessanter und müssen ihr Leben im Alter selbst neu erfinden: die gleichberechtigte Ehefrau, die selbstsichere Singlefrau, die Dauergeliebte, die selbstständige Berufstätige, die partnerschaftliche Mutter. Dafür haben wir heute viel mehr Freiheiten. Wir sind nicht mehr eingeengt und »eingezwängt ins konventionelle Korsett« (Lo von Gienanth 2004), wir entscheiden selbst, wie wir leben wollen.

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    Die österreichische Schriftstellerin Friederike Mayröcker antwortet mit 80 Jahren auf die Frage nach dem Alter: »Ich fühle mich nicht alt. Manchmal denke ich, mein Leben beginnt überhaupt erst.« Wie kommt eine alte Frau zu solch einer ermutigenden Aussage? Mit vielen älteren Künstlerinnen hat sie gemeinsam, dass sie durch eine erstaunliche Kontinuität und Disziplin ihre Kreativität lebenslang aufrecht erhalten hat. Natürlich konnte sie ihre Kreativität im Alter ausbauen, weil die Fundamente dafür schon frühzeitig gelegt wurden. Kreativität ist für mich der Schlüsselbegriff langen Lebens. Kreativität durchbricht den Stillstand. Neue Erkenntnisse, Konfigurationen, Anreize, Gedanken, Gänsehaut, lustvolle Spannung beim kreativen Tun, überraschen uns über uns selbst und unsere Mitwelt. Wer alles schon weiß, am Gewohnten festhält und nur das Kriterium »Was bringt’s?« kennt, gräbt seiner Seele ein Grab, in das er sich auch hineinlegen wird. Wer von vornherein

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