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Lebe deine eigene Melodie

Lebe deine eigene Melodie

Titel: Lebe deine eigene Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irmtraud Tarr
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Glücksmomenten, was ja kein Mangel, sondern überhaupt die Bedingung für Glück ist. Glück erfahren wir nur im Kontrast. Ein Dauerglück wäre kein Glück – man denke nur an Dauerurlaub auf Mallorca oder endlose Luxusreisen –, sondern eher eine Qual.
    Man muss es nicht glorifizieren, wenn man mit den Jahren maßvoller, verhaltener wird, das ist nicht nur eigener Verdienst und Abgeklärtheit, sondern auch der Tribut, den unser Körper uns abverlangt. Auch wenn es vielleicht nicht
ganz freiwillig geschieht, so erlaubt es doch ein Stück Freiheit. Im bewussten Verzicht entdecken wir allmählich, dass darin auch ein Gewinn von Freiheit oder gar Glück stecken kann. Die Vorstellungen vom Glücklichsein ändern sich eben mit den Jahren.
    Dennoch frage ich: Sind die meisten Glücksmomente nicht eher Momente der Erleichterung? Warum klatschen die Älteren so begeistert, wenn das Flugzeug sicher landet? Unsere Tage sind voll von solchen Glücksspuren: die Geldbuße, die nochmals erlassen wurde; die Schwiegereltern, die abgesagt haben; die negativen Laborbescheide, die man sich nicht traut zuzugeben; der glimpflich verlaufende Zahnarztbesuch; die Gäste, die früher abreisen; der wiedergefundene Autoschlüssel; das angebrannte Essen, das niemand bemerkt; der Sohn, der die Klasse doch nicht wiederholen muss; die Bronchitis, die sich endlich zurückzieht. Deswegen klingen diese angeblich sicheren Rezepte ziemlich albern, »glückliches Altern kann man lernen«, wie Französisch, Surfen oder Kochen. Oder: »Entfesseln Sie Ihre sexuelle Energie im Alter«, »Machen Sie sich attraktiv!« Nur zu gern, aber wie? Oder: »Vererben Sie nichts, essen Sie alles auf!« Wird man da nicht zum Sicherheitsrisiko? Es gibt Lebenslagen, in denen Rezepte nichts zu suchen haben. Auch wenn man Glück nicht lernen kann, so sind Mühen und Widerstände homöopathisch dosiert gut, weil sie uns in Atem halten und am Ende Genugtuung schenken: überwundene Hindernisse, überwundene Gegner, überlebte Pleiten, überstandene Pannen.
    Sind mit den Jahren die meisten Glückserfahrungen nicht eher Momente des Aufatmens, des Noch-mal-davongekommen-Seins? Sie streifen uns täglich. Sie entspannen und erlösen uns mehr als früher. Man sollte sie gebührend feiern. Und nicht vergessen, immer wieder aus tiefem Herzen
»Danke« zu sagen. Auch wenn der Preis manchmal eine Bronchitis ist. Von Plato bis Schopenhauer war man sich ausnahmsweise einig: Glück ist bloß das Aufhören von Unglück!

»Man muss eine gute Krankheit haben«
    Ein chinesisches Sprichwort sagt: »Man muss eine gute Krankheit haben, um alt zu werden.« Auch wenn die Veränderungen, die das Älterwerden mit sich bringen, nicht gerade spektakulär oder erschütternd sind, so doch oft ärgerlich, frustrierend und irritierend. Es gibt nun mal Symptome, die etwas von einem Schnupfen an sich haben, die man augenzwinkernd akzeptieren muss, um ihre Bedrohlichkeit etwas zu relativieren. Das ist ein untrügliches Zeichen für Gelassenheit: Man fügt sich ins Unvermeidliche und übt sich in Geduld. Man stellt fest, dass man sogar ein humorvolles Verhältnis gegenüber den Zumutungen der Vergänglichkeit entwickeln kann. Und dass bei Tageslicht vieles nur halb so schlimm oder manchmal sogar doppelt so gut ist.
    Selbst dürftige Geschichtskenntnisse müssten reichen, um rasch zur Einsicht in unser privilegiertes Dasein hinsichtlich des Alterns zu kommen. Wer also klagt, möge sich daran erinnern, dass der Tod früher nicht gerade zimperlich zuschlug. Er nahm mit, wen immer er wollte und wann es ihm passte, und er fackelte dabei nicht lange. Was hätten unsere Vorfahren darum gegeben, noch ein paar Wochen, Monate oder noch länger zu haben, um in sich zu gehen, ihren sündigen Lebenswandel zu revidieren, damit das ewige Seelenheil keinen Schaden nimmt?
    Wenn wir uns von der Auffassung unserer Vorfahren, dass Krankheiten einen Sinn haben, leiten lassen, welchen Sinn könnten Krankheiten für uns haben? Wenn uns der Körper manchmal piesackt, und dazu nötigt, den Hausarzt nicht nur zu kennen, sondern auch zu beanspruchen, so hat man jetzt die Gelegenheit, mit Grenzen umgehen zu lernen. Grenzen sind garstig, sie hindern und blockieren uns und
reißen uns aus der gewohnten Routine. Also Augen zu und durch – Termine absagen, Reisen verschieben, auf kleine Wonnen verzichten, Einladungen abschlagen, von einem Plan abrücken, eine lieb gewordene Gewohnheit zähneknirschend aufgeben. Das sind die

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