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Lebe lieber übersinnlich - 02 - Dreams 'n' Whispers

Lebe lieber übersinnlich - 02 - Dreams 'n' Whispers

Titel: Lebe lieber übersinnlich - 02 - Dreams 'n' Whispers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiersten White
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er direkt neben mir sein können und ich hätte ihn wahrscheinlich trotzdem nicht gesehen.
    Meine Lungen brannten, aber ein Lichtschimmer über meinem Kopf wies mir den Weg. Noch ein paar Zentimeter, dann durchbrach ich die Wasseroberfläche und sog verzweifelt und dankbar die Luft ein. Ich war ungefähr fünf, sechs Meter vom schlammigen Ufer des von immergrünen Pflanzen umwucherten Flusses entfernt. Als ich den Kopf drehte, sah ich zu meinem Entsetzen, wie sich am schmalen, gemauerten Ende des Kanals eine Art Tor hob – und meinen Teil des Flusses mit einem Sturzbach überflutete, der mich herumwirbelte, bis ich vollkommen orientierungslos war, und schließlich wieder unter Wasser drückte.
    Wild strampelnd versuchte ich, mich zu retten, aber ich wusste ja noch nicht mal, wo oben und unten war. Ich würde ertrinken – piep, ich würde ganz allein in Schweden ertrinken –, doch mit einem Mal packte eine Hand meinen Arm.
    Jack! Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich vor Erleichterung geweint. Ich drehte mich zu ihm um und fand mich stattdessen einem seltsam schönen Mann gegenüber. Er passte perfekt zwischen die Grau- und Grüntöne ringsum und seine Augen waren so groß, dass sie beinahe sein halbes Gesicht einnahmen. Augen voller Seele. Voller Hunger. Seine üppigen Lippen teilten sich zu einem Lächeln und ich lächelte zurück.
    Seine Stimme wallte durch das Wasser auf mich zu, beinahe schmerzhaft lieblich und wunderschön. Ich schloss die Augen und gab mich der Melodie hin. Noch nie hatte ich eine so kraftvolle, so verlockende Musik gehört. Er zog mich an sich und presste seinen kalten Mund auf meinen und sein Lied hörte nicht auf, auch nicht, als er meine Lippen öffnete, mich küsste und meinen Atem tief einsog.
    Langsam umeinander wirbelnd, sanken wir tiefer, bis meine Füße auf dem weichen, träge aufstiebenden Schlick des Flussbetts landeten. Seine Lippen und sein Lied ließen das Brennen in meinen Lungen verblassen, bis ich es kaum noch spürte. Schläfrig und wonnig zufrieden öffnete ich die Augen und sah in seine, die mich anstarrten.
    Mit aller Macht stieß ich ihn von mir weg, während ein Schrei aus meiner Kehle blubberte. Denn jetzt, als ich richtig hinsah, konnte ich erkennen, dass er sowohl ein schöner Mann als auch ein Pferd war – ein Pferd mit rasiermesserscharfem Blick, nadelspitzen Zähnen und einer Mähne wie Stacheldraht. Und jetzt peitschte die Mähne nach vorn und wickelte sich um meine Handgelenke, während er mich wieder an sich zog.
    Die Melodie hatte sich verändert und war zu einem schaurigen Schlaflied voller Sehnsucht, Traurigkeit und Endgültigkeit geworden. Schlaf. Kalter, nasser, ewiger Schlaf. Entsetzt schüttelte ich den Kopf, aber der schöne Pferdemann lächelte abermals und zog mich erneut an seine Brust.
    Tja, das war ein Fehler.
    Mit aller Macht drückte ich ihm die Handfläche vor die Brust und zwischen uns floss plötzlich ein Strom, viel mächtiger, als der Fluss es je gewesen war. Jetzt waren es seine Augen, die sich vor Panik weiteten, als er mich losließ und zurückzuweichen versuchte. Doch ich hielt die Hand weiter auf seine Brust gedrückt und das Dröhnen in meinen Ohren erfüllte meinen Körper wie eine gewaltige Sintflut.
    Eine Stromschnelle erfasste mich und trennte uns. Binnen Sekunden war er fort und ich war stinksauer. Ich schrie meinen Zorn ins Wasser hinaus. Er hatte versucht, mich umzubringen – jetzt war ja wohl ich an der Reihe! Was für ein Spielverderber.
    Das Wasser machte mir gar nichts mehr aus. Seine Strömungen waren keine Kräfte mehr, die gegen mich wirkten, sondern lebendige Wesen, die ich erfassen und verstehen konnte. Ich ließ mich von ihnen aufwärtsziehen, bis mein Kopf die Wasseroberfläche erneut durchbrach. Fast widerwillig schöpfte ich Atem, es war, als wollte ein Teil von mir wieder nach unten sinken und herausfinden, welche Geheimnisse der Fluss mir zuflüstern würde.
    Stattdessen gelangte ich, halb schwimmend, halb vom Wasser getragen, ans Ufer. Ich hievte mich an Land, ließ mich zu Boden fallen und starrte in den kalten grauen Himmel hinauf. Die Luft fühlte sich scharf an, fremd und leer; ihr fehlte die Zärtlichkeit des Wassers.
    »Evie!« Jacks Stimme drang zu mir durch. Mit vor Besorgnis verzerrtem Gesicht kniete er sich neben mich. Diesen Ausdruck hatte ich an ihm noch nie gesehen. »Evie, ist alles in Ordnung? Ich wusste das nicht! Du bist zu früh rausmarschiert und dann musste ich eine Pforte im Ufer suchen

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