Lebe lieber übersinnlich - 02 - Dreams 'n' Whispers
mitzuhalten.« Ich mischte mich unter die Leute, ohne jedoch die Atmosphäre so gierig in mich aufzusaugen wie früher. Solche flüchtigen Einblicke in das Leben der Menschen brauchte ich nicht mehr. Davon bekam ich inzwischen genug auf dem Schulflur.
Nach einer ziemlich frustrierenden halben Stunde fiel mir schließlich ein unter einem Cover verborgener Leichenschädel mitten in einer Gruppe von Menschen ins Auge, die vor dem Riesenrad Schlange stand. Der Typ hatte den Arm um ein hübsches junges Ding in einem mehr als ungeeigneten Outfit für dieses Wetter gelegt, das ihren überaus schlanken, überaus mit Blut gefüllten Hals freiließ. Sie starrte ihn mit diesem leeren, berauschten Blick an, den nur Frauen unter Vampirkontrolle bekamen. Oder ich, wenn ich einem Teller Cupcakes gegenüberstand.
Mmm. Cupcakes.
Mit entschlossenem Blick zückte ich Tasey. Der Vampir hatte zweifellos vor, seine Begleiterin auf eine Fahrt mitzunehmen, die sie niemals vergessen – und von der sie niemals zurückkehren – würde. Wahrscheinlich würde er sie mit seinem Hang zur Dramatik, der diesen Typen nun mal zu eigen war, beißen, wenn sie ganz oben angekommen waren, um dann unten so zu tun, als wäre sie betrunken, während er sie in eine dunkle Ecke zerrte, um ihr den Rest zu geben. Zorn loderte in mir auf und ich musste an die unschuldige Arianna denken. Das Regelwerk der IBKP für Vampirmissionen besagte, dass ich ihn nun an ein abgeschiedenes Fleckchen locken musste, damit die Menschen hier weiterhin nichts davon ahnten, was für mörderische Kreaturen unter ihnen weilten.
Ich drängte mich durch die Menge, tippte ihm auf die Schulter und verpasste ihm einen Stromstoß.
Seine Augen weiteten sich vor Überraschung, bevor er zuckend zu Boden ging. Sein auserwähltes Opfer starrte ihn ein paar Sekunden entsetzt an und stieß dann einen Schrei aus. Die anderen Leute wichen vor uns zurück und formten eine Art Kreis um den besinnungslosen Blutsauger.
Ich sah Leckerkehlchen an und verdrehte die Augen. »Ach, krieg dich mal wieder ein. Das wäre sowieso die kürzeste Beziehung deines Lebens gewesen.« Jack trat hinter mich und grinste verlegen in die Runde, bevor er sich bückte und ihm die Fußfessel anlegte. Dann packte ich den Vampir am Handgelenk und schleifte ihn kurzerhand aus dem Kreis in die Gasse.
Die Leute – ahnungslos wie die Lämmer – standen da und guckten verdattert, während sie herauszukriegen versuchten, was das wohl für eine Show war, die ich da zum Besten gab, und ob sie eher Beifall klatschen oder die Polizei rufen sollten.
»Ruf ein Transportteam«, sagte ich und ließ den Vampir an der Mündung der Gasse liegen. Dank dem Über-Vamp erforderte das geänderte Protokoll nun, dass alle Vampire direkt in Gewahrsam genommen wurden, ohne dass man ihnen ihre Rechte vorlas oder sie zuerst noch in die Datenverarbeitung schickte.
Jack drückte den Knopf und blickte mich dann an. »Das war ja mal … unauffällig.«
»Scheiß drauf«, murrte ich. Und wenn die breite Öffentlichkeit nun erfuhr, dass das Übernatürliche fröhlich unter ihnen wuchs und gedieh, wäre das wirklich so schlimm? Indem wir sie vor dem Wissen um diese Dinge schützten, nahmen wir nur weitere Opfer, wie Arianna, in Kauf.
Außerdem hätte es viel zu lange gedauert, den Vampir erst mal hinter mir herzulocken. Um ihm dann allein gegenüberzustehen …
Nein, diese Vorstellung war nicht gerade verlockend. Ich wollte einfach nur nach Hause, mehr nicht.
Als das Transportteam eintraf, schubste ich Jack auf die nächste Mauer zu. »Nach Hause, los.« Er machte eine übertriebene Verbeugung und eskortierte mich durch die Pforte und die Dunkelheit zurück in die tröstende Vertrautheit meines Zimmers/begehbaren Kleiderschranks. Wir traten ein und das Erste, was ich sah, war ein Brief.
Auf meinem Bett.
Ein weißer Brief.
Mit einer Absenderadresse, die zu sehen ich mir seit Wochen gewünscht hatte.
In einem Umschlag, der viel, viel kleiner war, als er hätte sein dürfen.
Es führt ein Pfad ins Nirgendwo
»Evie? Evie! Aua!« Jack wand seine Hand aus meiner, schüttelte sie aus und sah mich empört an. »Die Finger brauche ich noch.«
Ich konnte mich nicht bewegen. Dort auf dem Bett lag meine Zukunft – wie war sie dorthin gekommen? Warum war sie nicht im Briefkasten gewesen?
Grnlllll. Sie hatte irgendwas von mir gewollt, als ich von der Schule nach Hause gekommen war. Sie musste die Post geholt und gewusst haben, dass mein Brief
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