Leben bis zum Anschlag
nichts ausmacht, was mich in Wirklichkeit fertigmacht.«
Mehmet zieht in einem ziemlichen Tempo ab. Sein Fahrrad schiebt er neben sich her.
Nora lässt ihr ramponiertes Bike stehen, läuft los und holt ihn ein. »Das verlangt kein Schwein.«
»Nee?«, zweifelt Mehmet.
»Nee. Jetzt nicht und nicht in Zukunft – falls wir eine haben. Und sollten wir was zusammen vorhaben, dann müssen wir dafür was tun.«
»Was soll’n das sein?«
»Mann, Mehmet! Musik!«
»Ma-me-muh …«
Mehmets Gebrabbel wird von Noras Handy unterbrochen. Es ist Yolanda. »Wahrscheinlich soll ich wieder irgendwas machen. Ich geh nicht ran. Hör dir das an.« Sie setzt Mehmet ihren Kopfhörer auf und spielt ihr Lied ab.
Dalis Kopf ist zwischen den Gitterstäben des Treppenhausgeländers eingeklemmt. Er bekommt keine Luft mehr. Schuhmacher kniet auf seiner Brust. Mit letzter Kraft bäumt sich Dali auf und versucht ihn loszuwerden. Etwas reißt in seinem Körper, er kann es hören und macht die Augen auf, in der Hoffnung, es auch zu sehen. Schuhmachers Faust kommt auf ihn zu. Dali zieht sein Knie hoch, haut es seinem Gegner in die Seite und zieht gleichzeitig sein Kinn auf die Brust. Schuhmachers Faust landet auf dem Knospenmuster im Zentrum des Gitters. Er schreit auf. Das Geländer gerät in Schwingung. Wieder hört Dali ein Körpergeräusch, ein leises Knirschen, dicht neben seinem Ohr. Dieses Mal kommt es nicht aus seinem Körper.
»Aufhören! Sofort! … Sofort, hab ich gesagt!!«
Schritte nähern sich auf dem Schulflur. Von links dröhnen Elefanten auf Dali zu, rechts klackern Absätze, leicht und schnell und immer lauter. Der Druck auf Dalis Brust lässt nach, er ringt nach Luft. In der Ferne hört er ein hohles Pfeifen, Tuten, Zischen, was ihn an einen bremsenden Zug im Tunnel denken lässt. Es kommt aus seiner Kehle.
Ich bin es, der da tutet, denkt Dali erstaunt, und dann wird es schwarz um ihn.
»Wie heißt das Stück?«
»High Tension.«
»Was bedeutet das?«
»Hochspannung. Ich hab’s für dich geschrieben«, sagt Nora.
Starke Worte. Sie machen Mehmet konfus, also fragt er schnell: »Wie hast du das aufgenommen?« Noch nie hat er so einen seltsamen Raumklang gehört.
»Unter der Bettdecke.«
»Aha.«
Unter der Bettdecke singt sie mit ihrer sexy Stimme für ihn ein Lied über Hochspannung. Das macht Mehmet noch konfuser, und für einen Moment bleibt er stehen und starrt vor sich ins Leere.
Auf der anderen Straßenseite zieht Ron schnell den Kopf ein. »Scheiße, die haben uns gesehen.«
Die Schulsatzung ist in puncto Gewaltanwendung eindeutig: Auf dem Schulgelände ist jede Form von Gewaltanwendung verboten. Fertig, aus. Allen Beteiligten einer Schlägerei drohen disziplinarische Folgen, es sei denn, sie können zweifelsfrei nachweisen, dass sie sich lediglich verteidigt haben.
Da Michael Schuhmacher wiederholt gegen Regeln verstoßen hat, muss er mit einem Schulverweis rechnen.
»Aber der hat angefangen!« Aufschrei der Empörung. »Ich hab nichts gemacht!« Schuhmacher ist kurz davor, dem Schulleiter eine zu knallen, so gemein und ungerecht empfindet er den Umstand, dass alle ihn für den Schuldigen halten. »Immer ich!«, brüllt er durch die Flure.
Dem Schulleiter reicht es. »Schluss jetzt! Du hättest deinen Mitschüler vor meinen Augen beinahe umgebracht!«
»Das Arschloch hat mir die Nase gebrochen!«, heult Schuhmacher.
»Dann stell eine Anzeige.« Auch der Schulleiter kann Schuhmacher nicht leiden. »Sollen wir die Polizei oder den Krankenwagen rufen oder nicht?«
»Nein!«, brüllt Schuhmacher. Ihm ist klar, dass ihm das keinen Vorteil bringt.
Bei solchen Schülern rechnet der Schulleiter grundsätzlich mit kommendem Ärger. Also wendet er sich an den Hausmeister und vergewissert sich: »Sie haben gehört, dass der Schüler Hilfe ablehnt.«
»Ja.«
Hausmeister und Schulleiter führen oder zerren Schuhmacher vor das Schulportal.
»Mir geht’s gut«, beruhigt Dali Janina Joh. »Danke für das Wasser.«
Ein halber Liter ist in kürzester Zeit durch seine Kehle gezischt.
Von der Referendarin abgewandt massiert sich Dali unterm T-Shirt die Brust.
Für sie ist gerade so viel von einer erstaunlich männlichen Brust zu sehen, dass sie Mühe hat, sich ihrerseits ganz von ihm ab- und dem Fenster zuzuwenden.
Als der Schulleiter zurückkommt, fragt er noch in der Tür. »Also, wer hat jetzt angefangen?«
Dali schweigt.
An seiner Stelle erklärt Janina Joh: »Dali Moßbacher war
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