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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Eiswürfel holen zu können. Sie sollten ihn nicht so sehen. Seine Mutter würde einen Herzinfarkt erleiden und sein Vater ...
    Richard würde einen dummen Spruch machen. So etwas wie „Entweder du hast Schmerzen oder nicht. Wenn du nicht zum Zahnarzt gehst, hast du auch keine Schmerzen.“
    Arschloch.
    Sascha ... Er hatte solche Sehnsucht nach Sascha. Vielleicht konnte er schlafen, wenn der Freund da war und sich neben ihn legte.
    Andreas hatte es ja versaut. Er hatte ihn von sich gestoßen, statt die Zähne zusammenzubeißen – im wahrsten Sinne des Wortes – und ihm zu erklären, warum es ihm so schlecht ging. Aber das hätte nach einem Hilfeschrei ausgesehen. Es hätte vielleicht auch deutlich gemacht, wie wichtig Sascha ihm war. Viel wichtiger als ein Kumpel und jemand, mit dem man lediglich ein paar Mal herumgemacht hatte. Er konnte sich in diesem Zustand selbst kaum ertragen, wie sollte er sich da Sascha zumuten? Nein, allein sein war besser.
    Andreas unterdrückte ein hysterisches Lachen. Niemand konnte ihm helfen.
    Aus blutunterlaufenen Augen betrachtete er das zerfetzte Taschenbuch zu seinen Füßen. Er hatte es gegen die Wand geworfen. Wieder und wieder.
    Wie sollte es weitergehen? Er wusste es nicht. Seine geschundene Seele baute darauf, dass es irgendwann aufhörte. Von allein.
    Sein Verstand wusste es besser. Normale Zahnschmerzen und Empfindlichkeiten hörten vielleicht auf oder verliefen sich für ein paar Wochen im Sand. Aber keine Schmerzen diesen Ausmaßes. Keine Schmerzen, die die Vorstellung, eine Zange aus dem Keller zu holen und sich selbst die hinteren drei Backenzähne aus dem Mund zu brechen, mehr als verlockend machten. Zange ansetzen, ziehen, das Splittern der Wurzeln. Frieden.
    Es schüttelte ihn. Wie konnte er nur an so etwas denken? Das war widerlich. Oder hoffte er darauf, dass er sich solche Schmerzen zufügen konnte, dass er in Ohnmacht fiel? Verlockend.
    Unten fiel die Tür ins Schloss. Andreas seufzte erleichtert, als würde ihm dadurch Hilfe zuteilwerden. Ivana war noch nicht da, wenn er sich nicht täuschte. Genau der richtige Zeitpunkt.
    Hektisch kam er auf die Beine und stolperte in die Küche. Seine Hände zitterten, als er die Tiefkühltruhe öffnete und nach dem Eisbehälter griff. Fast nichts mehr da. Verdammt. Eine Welle Panik raste über seinen Rücken in seine Eingeweide. Er musste neues Eis ansetzen und hoffen, dass es zu gebrauchen war, bis diese Würfel geschmolzen waren.
    Rasch schob er sich einen Eiswürfel in den Mund, jaulte vor Schmerz auf, als der Frost auf das zum Bersten geschwollene Zahnfleisch traf. Danach füllte er den Behälter, verschüttete die Hälfte und versuchte es erneut. Krampfhaft kniff er die Augen zusammen. Er war schrecklich müde. Die zweite Nacht fast gänzlich ohne Schlaf. Wie lange konnte er das aushalten?
    Andreas zwang das Schwindelgefühl aus seinen Knochen und taumelte in den Flur, sah sich um, suchte Hilfe, fand keine. Warum musste er solche Dinge allein durchstehen? Was hatte er denn getan, dass er so etwas verdiente? Warum stand ihm niemand bei? Warum konnte er nicht bei seinen Eltern anrufen und sie bitten, dass sie mit ihm zum Arzt fuhren? Oh, er könnte, aber er war sich nicht sicher, dass sie ihn nicht abblitzen lassen würden. Außerdem war er zu alt für so etwas. Entweder er schaffte es allein oder gar nicht.
    Und gerade sah es verdammt nach gar nicht aus.
    Seine Finger glitten nach Halt suchend über die geschmackvolle Tapete des Flures, als er in Richtung Wohnzimmer schlich. Er wusste anfangs selbst nicht, was er dort wollte. Die Räume hier unten waren nicht gerade Orte der Ruhe oder Entspannung für ihn. Er fühlte sich unwohl. Warum musste die Villa repräsentativ sein? Warum konnte es keine bequeme Couch geben, auf der man sich zusammenrollen konnte, wenn man krank war?
    Aber nein, so etwas machte man nicht. War ihm als Kind auch nie erlaubt gewesen. Hätte ja sein können, dass er sein Saftglas umstieß oder auf den edlen Teppich kotzte. Galt auch für seine Eltern. Diese Regel kannte keine Ausnahme. Wer krank war, gehörte ins Bett.
    Kalt. Die Wände, das Design. Keine Bücher, keine Fernsehzeitschrift, nur ein paar hässliche Skulpturen, deren tieferer Sinn Andreas nicht aufging. Weiß. So viel weiß. Und Glas. Glas wie das an dem aufwendigen, kleinen Wagen, das die Minibar darstellte. Immer ordentlich poliert. Keine Fingerabdrücke. Es war alles sauber hier. Sauber wie die ganze Familie.
    Wodka aus Russland,

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