Leben im Käfig (German Edition)
zur Kühlung seines Gesichts verbraucht, beim Gang auf die Toilette zwei Mal mit der Schulter schmerzhaft den Türrahmen gestreift, nichts gegessen und viel zu wenig getrunken. Sein Magen rumorte hungrig, interessierte sich nicht für die Qualen in seinem Mund.
Was hatte er sich noch geleistet? Er hatte Ivana angeschrien, als die Schmerztabletten ausgingen, einen Abdruck in die Kopfplatte seines Bettes gebissen, ein Buch zerfetzt, zwei Gläser fallen gelassen, nur um hinterher in die Scherben zu treten und in seinem Tran den schrecklichen Ingwer-Likör im Badezimmer verschüttet. Seitdem stank es dort wie in einem Schnapsladen, aber das war ganz gut so. Selbst er wusste, dass das Mischen von Medikamenten und Alkohol keine gute Idee gewesen war.
Seit den frühen Morgenstunden lag er auf dem Teppich und wartete auf den Tod. Auf den Tod oder eine Lösung. Denn egal, wie er es drehte, er war am Ende. Es musste etwas passieren. Mittlerweile schmerzte jeder Muskel in seinem Körper.
Ein stählerner Reifen lag um seine Stirn und drohte seinen Kopf zu zerquetschen. Sein Nacken bestand nur noch aus verknoteten Sehnen und für das, was in seinem Mund vor sich ging, gab es keine Worte. Er war erschöpft. All seine Kraft war in den Versuch geflossen, die Schmerzen zu ertragen.
Nun kroch er im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Zahnfleisch und wusste weder ein noch aus. Sein Körper und sein Geist forderten mit wachsender Vehemenz ihre Ruhe. Und Ruhe würde er nur finden, wenn ... ja, wenn er handelte.
Aber er konnte nicht. Wusste nicht, wohin er sich wenden sollte. Er müsste aufstehen, herausfinden, wohin er fahren konnte und dann, ja ... dann müsste er irgendwie sehen, dass er die Behandlung durchstand. Oder nein, nicht die Behandlung. Erst einmal die lange Fahrt, dann den Gang zur Praxis, die Anmeldung, das Wartezimmer und dann die Behandlung selbst. Bei dem Gedanken löste sich ein trockenes Wimmern aus seiner Kehle. Aber er hatte keine Wahl. Er konnte nicht mehr.
Vielleicht war er entgegen aller Wahrscheinlichkeit eingeschlafen, denn als er erwachte, kniete Ivana neben ihm. Ihr alterndes Gesicht wirkte besorgt, während sie ihm linkisch über die Schulter strich.
„Du musst aufstehen“, flüsterte sie sanft. Ihre Augen huschten unstet von links nach rechts, als hätte sie ein schlechtes Gewissen. „Ich ... ich habe ein Taxi gerufen. Es muss bald hier sein.“
„Taxi?“, krächzte Andreas träge; kaum in der Lage, die Situation zu erfassen. Schmerzen. Konnte man gleichzeitig solche Qualen erleiden und denken?
Ivana nickte wild und zerrte an seinem Arm, ohne jede Chance, ihn auf die Beine zu bringen: „Bitte, steh auf. Ich habe in der Klinik angerufen und dich als Notfall angemeldet. Ich ... ich würde mitkommen, aber du weißt, dass die Gärtner heute kommen und deine Eltern werden böse, wenn sie vor verschlossener Tür stehen.“
„Klinik?“, echote er leise. Augenblicklich fuhr ihm der Schreck in die Glieder, doch die Angst war nicht in der Lage, sich gegen das brennende Pochen in seinem Kiefer durchzusetzen.
Noch einmal drückte Ivana seine Schulter. Ein Hauch von Hysterie lag in ihrer Stimme, als sie rief: „Andreas, du musst dich zusammennehmen. Warum hast du nur deinen Eltern nichts gesagt? Es ging dir doch gestern Abend schon so schlecht. Du musst jetzt hoch und dir etwas anziehen.“
„Kann nicht“, wisperte er und sah sie aus traurigen Augen an. „Du weißt, ich kann das nicht.“
„Du musst aber“, sagte sie eindringlich. „Du fährst in die Uni-Klinik. Die hat einen guten Ruf und die wissen auch bestimmt, wie man mit deiner Angst umgeht. Ich habe ihnen gesagt, dass du schlechte Erfahrungen gemacht und starke Schmerzen hast. Du musst es nur vom Taxi in die Klinik schaffen. Der Fahrer hilft dir.“
Er konnte spüren, wie verzweifelt sie war. Hinter dem Wall aus Nebel, der seine Gedanken umgab, ahnte er, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte. Immer machte er alles mit sich selbst aus.
Als er sie gestern aus seinem Zimmer heraus anbrüllte, dass er neue Tabletten brauchte, hatte er nicht gesagt, wofür. Erst sehr viel später, als er ihr das Päckchen aus der Hand gerissen hatte, hatte sie die Hand nach seiner hochgradig geschwollenen Wange ausgestreckt und sich zusammengereimt, was ihm fehlte.
Taxi. Klinik. Ein Arzt, der wusste, was ihn erwartete. Wusste, wie schlecht es ihm ging. War es möglich? Und wenn nicht, was sollte schon passieren?
Andreas presste einen verkrampften Laut
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