Leben im Käfig (German Edition)
begrüßte ihn und nickte ihm beruhigend zu.
Kaum, dass er in dem unbequemen Behandlungsstuhl saß, begannen die Krämpfe. Seine angespannten Muskeln bebten vor Adrenalin und zuckten so heftig, dass er nicht sicher war, ob er den Mund öffnen konnte. Hatte er Angst? Ja. Und nein. Er war zu weit von sich entfernt für eine echte Panikattacke, aber gleichzeitig war es die Hölle auf Erden. Zu viele Empfindungen, zu viele Sorgen, zu viel Schmerz. Und es sollte aufhören.
Die Zahnärztin betrachtete die Erfrierungen auf seiner Wange und hielt sich nicht mit langen Fragen auf. Vorsichtig sah sie sich in Andreas' Mundhöhle um und gab ihrer Helferin den Befund durch.
„4.8 im Durchbruch. 4.7 O.B. 4.6 ...“, eine Pause. „C approximal, eventuell Z.“
In diesem Rhythmus ging es weiter, aber es blieb bei einem „C“.
Als die Ärztin mit der Bestandsaufnahme fertig war, lüftete sie ihren Mundschutz und lehnte sich zurück: „Sie haben starke Schmerzen, nicht wahr? Haben Sie etwas dagegen eingenommen?“
„Ja“, quetschte Andreas hervor.
Was bedeutete C approximal, eventuell Z? Warum konnten Zahnärzte sich nie klar ausdrücken?
„Hat es gewirkt?“
„Kaum.“
„Gut“, nickte die Ärztin, als hätte sie nichts anderes erwartet. Sie hatte eine beruhigende Art an sich, die jedoch nur bedingt zu Andreas durchsickerte. „Ich würde gern ein Röntgenbild machen. Einen Röntgenpass haben Sie vermutlich nicht?“
„Nein.“
Andreas mochte die vielen Fragen nicht. Er mochte es auch nicht, dass sie ihn wieder hochtrieben und zum Röntgen brachten. Die für sein Empfinden lange Auswertung der Bilder, die in Wirklichkeit nur wenige Augenblicke beanspruchte, gefiel ihm noch weniger. Warum konnten sie ihm nicht die Schmerzen nehmen? Wenigstens das?
Als er wieder im Behandlungsstuhl saß, legte ihm eine der Helferinnen die Hand auf die Schulter. Sie lächelte ihm zu, aber Andreas bildete sich ein zu erkennen, dass ihr Blick nichts Gutes verhieß. Er wollte schreien.
Die Ärztin setzte sich dicht neben ihn, gab Anweisungen, nach denen eine Vielzahl grauenhaft aussehender Instrumente auf ein Tablett neben sie gelegt wurde. Eigenartige Mininadeln mit bunten Köpfen.
„Ich will Ihnen die Lage erklären, damit Sie wissen, was ich tue“, begann sie freundlich, aber bestimmt. „Sie haben eine akute Pulpitis an 46.“
Andreas verstand kein Wort, wollte er auch gar nicht. Er war damit beschäftigt, seine Magensäure bei sich zu behalten.
„Der Zahn hat eine große Karies, die Bakterien haben das Nervengewebe des Zahnes infiziert, das bereitet Ihnen die Schmerzen. Ich werde den Zahn eröffnen und ...“
An diesem Punkt verließ Andreas seinen Körper. Er wurde nicht ohnmächtig, aber er empfand nicht mehr wie ein Mensch. Eher wie ein Tier auf der Flucht. Er spürte, wie ihm der Schweiß über den Rücken lief. Sah seine Hände, seine Beine schlottern. Nahm jede Bewegung um sich herum überdeutlich wahr und spürte doch nichts.
Es war ein Albtraum. Nicht mehr und nicht weniger. Seine Sinne waren überfordert. Irrationale Angst hatte er nicht mehr. Nur noch Panik vor dem, was ihn erwartete.
Es wurde ein Schlachtfest. Dabei gaben sie sich jede Mühe mit ihm. Er durfte die Hand der Zahnarzthelferin quetschen. Begriffe flogen um ihn herum, wenn die Ärztin mit ihren Assistentinnen sprach.
Sie betäubte, bohrte, spritzte nach, betrachtete das Röntgenbild am Monitor gegenüber. Scheinbar stundenlang lag der Schlauch in seinem Mund, um Blut und Speichel abzusaugen. Das Geräusch trieb ihm die Galle in die Kehle. Ewig hing ihm der Geruch der Fäulnis in der Nase, der sich offenbarte, nachdem der Zahn offen lag.
Die Muskelkrämpfe waren grauenhaft; so schlimm, dass er mehr als einmal gegen seinen eigenen Willen den Mund schloss. Der Kiefer selbst schien sich gegen die Behandlung zu wehren. Am Ende war es so schlimm, dass die Ärztin darüber nachdachte, seinen Mund mit einem Aufbisskeil offen zu halten.
Er hasste sie.
Auf rationaler Ebene wusste er, dass sie sich Mühe gab, es ihm so leicht wie möglich zu machen. Sie redete ihm gut zu, ließ ihm Pausen zum Luftholen. Aber sie tat ihm unaussprechliche Dinge an.
Der Zahn erwies sich als nicht erhaltenswert. Zu lange hatte die Zerstörung ihren Lauf genommen. Ob er damit einverstanden sei, dass der Zahn entfernt würde, statt es mit einer Wurzelbehandlung zu versuchen, wurde er gefragt. War er. Hauptsache, es ging schnell.
Zwar hatte die Betäubung ihm den akuten
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