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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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grummelte. Er sehnte sich nach einer amerikanischen Pizza, die sich unter der Last des Käses bog; nicht nach Essen, das aufdringlich Weihnachten war. Auch Heiligabend gab es Lieferdienste, die offen hatten, aber er sträubte sich dagegen, sie in Anspruch zu nehmen.
    Am 24. Dezember Pizza für sich allein zu bestellen, war erbärmlich.
    Erbärmlich war auch, dass er es sich nicht über sich gebracht hatte, Sascha von seinem Weihnachtsdilemma zu erzählen.
    Andreas war kein kleiner Junge mehr, der mit strahlenden Augen auf das Christkind wartete. Vermutlich war er diese Art Kind nie gewesen. Er konnte gut ein paar Tage alleine sein – Weihnachten oder nicht. Damit musste er nicht seinen Freund belasten, der angesichts des drohenden Familien-Events außer sich war.
    Und wenn er ehrlich war, war es ihm auch zu peinlich gewesen, sich schon wieder bei ihm über seine Eltern zu beklagen. Er wollte nicht riskieren, dass Sascha ihm mehr oder weniger sanft klar machte, dass er ein Egoist war. Denn im Grunde wusste Andreas das selbst. Er war ein Egoist, weil er seinen Eltern und gerade seiner Mutter den Urlaub nicht gönnte.
    Auf Socken glitt Andreas durch den Flur und lehnte sich in den Türrahmen zum Wohnzimmer. Zögerte. War sich nicht sicher, ob er eintreten wollte. Ob er die Leere und die Dunkelheit sehen wollte. Aber warum nicht? Die Dunkelheit führte nicht nur dazu, dass man selbst schlecht sah, sie ließ auch alle anderen schlecht sehen. Die anderen, die nicht existierten.
    Wie eine Raubkatze auf Beutezug trat Andreas in den Raum, der dank des reflektierenden Schnees auf der Terrasse ausreichend ausgeleuchtet wurde, um nicht über eine Teppichkante zu stolpern. Das Halbdunkel zeichnete die Möbel weicher als sie in Wirklichkeit waren. Nahm das Scharfe aus den Ecken und Kanten, ließ den Marmor des Kamins sacht glänzen.
    In Andreas' Brust rollte sich ein kleiner Igel zusammen und spreizte warnend die Stacheln ab, als er sich der Anrichte näherte, die in früheren Jahren stets dem Weihnachtsbaum hatte weichen müssen.
    Es war ein schöner Platz für eine Tanne. Nah genug am Fenster, dass die brennenden Lichterketten vom Glas gespiegelt wurden und vom Garten aus wie ein Meer beschwingter Glühwürmchen wirkten.
    In diesem Jahr stand die Anrichte unberührt an ihrem Platz. Einzig die beiden Päckchen, die Andreas darauf platziert hatte, ließen ahnen, dass ein besonderer Tag war.
    Er hatte seinen Eltern die Geschenke noch vor der Abreise gegeben, doch sie hatten sie nicht mehr in ihren Koffern unterbringen können. Dabei waren sie gar nicht allzu groß.
    Ihm war der Gedanke gekommen, dass sie während ihres Urlaubs nicht daran erinnert werden wollten, dass er allein zurückblieb. Dafür sprach auch, dass seine Mutter es nicht geschafft hatte, ihm beim Abschied in die Augen zu sehen.
    Für Andreas stand ein großes Paket in dunkelrotem Geschenkpapier vor der Anrichte, doch er verspürte nicht den Wunsch, es auszupacken. Er wusste, was sich darin befand und konnte sich kaum darüber freuen.
    Jedes Jahr seit sechs Jahren dasselbe. Er setzte im Internet einen Computer aus den neuesten Komponenten zusammen und bestellte ihn. Das Paket kam an, wurde von Ivana eingewickelt und wartete auf ihn. Keine Überraschungen für ihn. Dabei freute er sich durchaus über den neuen Computer. Nur nicht heute, morgen vielleicht.
    Abwesend strich Andreas mit den Fingerspitzen über die kühle Oberfläche des Kamins, bevor er ohne große Motivation nach dem Umschlag griff, der auf seinem Geschenk befestigt war. Er öffnete ihn, fand eine mit Blattgold bestäubte Karte, aus der ein Bündel Geldscheine fiel.
    Prüfend hielt er eine der Banknoten in Richtung Terrasse, registrierte die grüne Färbung und schob das Geld wieder in den Umschlag, ohne es zu zählen. Was interessierte es ihn, ob es nun zehn, fünfzehn oder zwanzig grüne Scheine waren. Sie gesellten sich eh nur zu dem Stapel Bargeld in seiner Schreibtischschublade, das er nie antasten musste.
    Die Karte las er wohlweislich nicht. Er ahnte, dass ihm der Inhalt wehtun würde.
    So viel zur Bescherung. Abendprogramm beendet.
    Mit einem Mal fühlte er sich verloren. Wagte nicht, an die Terrassentür zu treten und in den Garten zu sehen. Zu groß war die Gefahr, dass sein Blick sich zum Nachbarhaus verirrte.
    Sascha weiß gar nicht, wie gut er es hat, schoss es Andreas gegen seinen Willen durch den Kopf.
    Die Suhrkamps mochten Idioten sein, aber sie hatten weder Wind noch Wetter gescheut,

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