Leben Ist Jetzt
immer mehr abnimmt. Die
Eltern warten darauf, dass die Kinder ihre Enkelkinder vorbeibringen, damit sie sich um sie kümmern können. Aber es geschieht für die Eltern zu
selten. Andere Töchter oder Söhne haben den Kontakt zu den alten Eltern ganz abgebrochen. Ich habe die Hilflosigkeit von Eltern erfahren, denen ihre
Kinder jeden Kontakt verbieten. Das tut weh. Die Eltern möchten ja gerne wissen, was sie verkehrt gemacht haben, wenn etwa die Tochter den Kontakt
abbricht. Und sie möchten alles besser machen. Aber die Tochter gibt ihnen keine Chance dazu. Die Eltern können nur hoffen und beten, dass die Tochter
ihre eigene innere Verbohrtheit irgendwann einmal aufbricht und wieder Kontakt zu den Eltern sucht. Wenn sie die Beziehung für immer abbricht, dann
schneidet sie sich ihre eigenen Wurzeln ab. Das tut ihr nicht gut.
Das vierte Gebot heißt: „Du sollst deine Eltern ehren!“ Viele fühlen sich von diesem Gebot überfordert. Die Eltern
haben sie so verletzt. Sie sehen keinen anderen Ausweg als die Distanz, um sich endlich frei zu machen von den Reglementierungen oder ständigen
Entwertungen durch die Eltern. Die alten Eltern meinen, sie müssten immer noch alles bestimmen und beurteilen, was gut und schlecht, richtig und falsch
ist. Doch auch wenn ich noch so sehr von den Eltern verletzt worden bin, hat das Gebot auch für mich eine heilende Wirkung. Ein holländisches Autorenteam
hat dieses Gebot positiv gefasst: „Ich ehre meine Herkunft.“ Wenn ich die Eltern verachte, verachte ich einen Teil von mir. Ich verachte meine
Geschichte. Und das tut mir nicht gut. Ehren heißt nicht, dass ich alles gutheiße, was die Eltern getan haben. Aber ich muss respektieren, dass sie mir
das, was sie konnten, gegeben haben. Vielleicht war es für mich zu wenig. Vielleicht hat mir manches nicht gut getan. Dann ist es meine Aufgabe, mich
davon zu distanzieren
Andere besuchen zwar ihre alten Eltern. Aber sie finden keinen richtigen Zugang. Sie spüren, dass sie in anderen Welten leben. Beide
leiden an dieser Beziehungslosigkeit und können sie doch nicht überwinden. Andere haben Angst, von den alten Eltern vereinnahmt zu werden. Sie geraten
wieder in die Kindrolle, sobald sie länger mit den Eltern zusammen sind. Daher versuchen sie, den Kontakt auf einMinimum zu
reduzieren. Letztlich erwarten sie von den Eltern, dass sie sich ändern. Aber die Eltern werden sich nicht ändern. Es ist meine Aufgabe, innere Distanz zu
finden und mich nicht vereinnahmen zu lassen. Wenn ich nicht reagiere auf zu neugierige Fragen oder auf vereinnahmende Tendenzen, werden sie sich von
alleine geben. Dann fühle ich mich nicht davon belastet. Ich lasse es bei den Eltern.
Wie kann die Beziehung zwischen den schon älteren Kindern und ihren alten Eltern gelingen? Zunächst ist es für die Kinder wichtig, die
Eltern zu lassen, wie sie sind. Sie sollen sich von der Hoffnung verabschieden, dass die Eltern sich ändern. Eine sechzigjährige Frau erzählte mir von
ihren Problemen mit ihrer alten Mutter. Nach einer Therapie hatte sie geglaubt, sie wäre nun zu einer neuen Beziehung zu ihrer Mutter fähig und lud die
Mutter zu einem gemeinsamen Urlaub ein. Doch der Urlaub wurde für sie eine Katastrophe. Sie hatte immer gehofft, dass die Mutter ihr sagen würde: „Du bist
doch meine liebste Tochter. Du verstehst mich. Du kümmerst Dich um mich.“ Ich sagte dieser Frau: „Dieses Wort werden Sie nie von Ihrer Mutter hören. Von
dieser Illusion müssen Sie sich verabschieden. Sie sollen sich selbst mütterlich behandeln, anstatt von der Mutter dieses Verhalten zu erwarten.“ Als
Erwachsene erwarten wir, dass unsere Eltern stolz auf uns sind. Dann kränkt es uns, wenn die alten Eltern nur um sich selbst kreisen. Es istwichtig, sie sein zu lassen. Ich gebe oft den Rat: „Wenn Sie Ihre alten Eltern besuchen, stellen Sie sich vor, Sie gehen ins Theater. Sie
schauen zu, aber Sie spielen nicht mit. Dann ärgern Sie sich nicht über die Eltern. Sie lassen sie, wie sie sind. Aber Sie selbst lassen sich auch nicht
in eine Rolle drängen. Sie bleiben Sie selbst.“ Das ist keine Entwertung der Eltern. Die Eltern dürfen so sein. Ich werte ihr Verhalten nicht. Ich schaue
es nur an, ohne mich von ihrem Verhalten bestimmen zu lassen.
Die alten Eltern müssen natürlich auch lernen, sich in ihrem Urteil zurückzuhalten. Es fällt ihnen nicht leicht, das Heft aus der Hand
zu geben und zu vertrauen,
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