Leben Ist Jetzt
sositzen, so trägt der kleine
Enkel von vier Jahren auf der Erde kleine Brettlein zusammen: „Was machst du da?“ fragte der Vater. „Ich mache ein Tröglein“, antwortete das Kind,
„daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin.“ Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an, fingen endlich an zu weinen, holten alsofort den
alten Großvater an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mitessen, sagten auch nichts, wenn er ein wenig verschüttete.
Wenn die alten Eltern das, was sie den Kindern früher selbst gepredigt haben, nicht mehr halten können, weil sie zitterig geworden
sind, weil sie den Löffel nicht mehr halten können und sabbern, dann ist das für ihre erwachsenen Kinder eine Enttäuschung. Und manchmal können die Kinder
das nicht aushalten, wie in diesem Märchen. Sie isolieren den alten Großvater, nicht weil der sich in ihre Erziehung hineinmischt oder etwas Unrechtes
tut, sondern nur, weil er alt ist und sein Verhalten nicht mehr ansehnlich. Sie übersehen den Schmerz des Großvaters. Der Enkel hält ihnen einen Spiegel
vor. Die Eltern schauen in diesen Spiegel und erkennen das Verletzende ihres Verhaltens.
Das Märchen zeigt, dass die Beziehung zu den alten Eltern nicht unproblematisch ist. Da ist manchmal die Pflege eine Last für die
Kinder. Oder das Verhalten ist so, dass man es nicht mit ansehen kann oder will. Unbewusst erwarten Kinder von den Eltern,dass sie bis
ans Ende alles im Griff haben, so wie sie es immer hatten. Sie können die Hilfsbedürftigkeit ihrer alten Eltern nicht annehmen. Das Märchen zeigt, dass
der Großvater uns nur selbst vor Augen führt, was mit uns geschehen könnte. Keiner von uns hat die Garantie, dass er bis zuletzt diszipliniert ist und
sein Leben selbst im Griff hat. Wir möchten unser Alter nicht zu Ende denken. Wir möchten uns nicht eingestehen, dass wir auch hilfsbedürftig werden
können. So ist das Alter immer auch für uns eine Herausforderung, uns der eigenen Wahrheit zu stellen, dem Prozess des Älterwerdens bis hin zum
Angewiesensein auf Hilfe und Unterstützung ins Auge zu sehen. Dann werden wir nicht nur barmherziger mit den Alten umgehen, sondern auch mit uns
selbst.
So möchte ich im Folgenden auf die Beziehungen eingehen: auf die aktive Rolle der älteren Menschen in der Gesellschaft, die
Beziehungen von älteren Menschen untereinander, die Beziehung zwischen den Erwachsenen und ihren alten Eltern und die Beziehung zwischen Enkeln und
Großeltern. Beziehungen zwischen Menschen sind immer im Fluss. Und es ist gut, sich den Änderungen zu stellen. Viele werfen dem Ehepartner vor, dass er
sich im Laufe seines Lebens geändert hat. Wir erwarten offensichtlich, dass er immer so bleibt, wie wir ihn kennen gelernt haben. Doch das wäre eine
statische Beziehung.Unsere Beziehungen sind immer in einem Prozess der Veränderung und Verwandlung.
Die Beziehungen zwischen alten und jungen Menschen sind heute zwei Gefährdungen ausgesetzt: Es gibt nicht nur die Tatsache, dass alte
Menschen die Jugend verherrlichen, weil sie letztlich ihr Altsein ablehnen. Eine andere Weise der misslungenen Annahme des Älterwerdens besteht darin, die
jungen Menschen zu verdammen. Man findet alles an ihnen schlecht. Wenn die Alten an ihre Jugend denken, war alles besser. Sie vergessen die Streiche, die
sie den Erwachsenen damals gespielt haben. Und sie vergessen die Sorgen, die sie ihren Eltern gemacht haben. Indem sie auf die Jugend schimpfen, lenken
sie ab von ihrem eigenen Altsein und letztlich von der Unfähigkeit, sich mit dem eigenen Alter auszusöhnen und den Wert des Altseins zu würdigen. An
unserem Reden über die Jugend erkennen wir unsere Haltung dem Älterwerden gegenüber. Wie Alte über die Jugend sprechen, zeigt ihre eigene Versöhnung und
ihr Unversöhntsein mit sich selbst. Umgekehrt offenbart das Reden der jungen Menschen über die Alten ihre Einstellung zum Leben. Daran erkennen wir, ob
sie sich dem Prozess ihres eigenen Älterwerdens stellen oder ob sie ihn verdrängen und alles, was damit zusammen hängt, auf die Alten projizieren.
Eltern-Kinder, Großeltern-Enkel
Eltern und Kinder können im Alter eine neue Beziehung aufbauen
Die Beziehung der Kinder zu den Eltern wird nicht notwendig besser, wenn beide älter werden. Da gibt es Kinder, die schon längst eine
Familie gegründet haben und mitten im Leben stehen. Sie sind so mit ihren Familien beschäftigt, dass der Kontakt zu den Eltern
Weitere Kostenlose Bücher