Leben Ist Jetzt
kennen in ihrer eigenen Umgebung alte Menschen, die dement geworden sind. Und sie haben Angst, ihnen könnte das auch
widerfahren. Auch ich kenne das. Wenn ich Mitbrüder betrachte, die dement geworden sind, dann taucht in mir die Angst auf, ich könnte so werden. Wie damit
umgehen? Für mich sind zwei Wege wichtig. Der erste Weg ist der Weg des Tuns. Was kann ich tun, um eine Demenz zu vermeiden? Es gibt medizinischen
Ratschläge für Ernährung und Bewegung. Und Psychologen und Ärzte meinen, wer bis zuletzt geistig aktiv ist, der würde nicht so leicht dement. Allerdings
gibt es keine Garantie. Ein geistig so aktiver Mann wie Walter Jens wurde mit 84 Jahren auf einmal dement. Ich kann nur das Meine beitragen, um nicht
dement zu werden. Und ich darf vertrauen, dass Gott mich davor bewahrt. Doch auch das ist keine Garantie. Daher ist der zweite Weg genauso wichtig: Ich
stelle mirvor, was es für mich bedeutet, dement zu werden, meine Fähigkeit zu denken und zu schreiben zu verlieren. Das ist für mich
eine spirituelle Herausforderung. Ich frage mich dann: Woher definiere ich mich? Definiere ich mich nur von meinen Fähigkeiten, von meiner geistigen
Wachheit oder aber von Gott her? Wenn ich mich von Gott her definiere, dann kann mir die Demenz meine wahre Würde nicht nehmen. Sie nimmt mir nur das
Ego. Das Ego, das alles in der Hand behalten möchte, das immer gut vor anderen dastehen möchte, wird zerbrochen. Und ich hoffe, dass durch dieses
Zerbrechen meine Person ganz und gar aufgebrochen wird für Gott, dass durch die Demenz hindurch doch etwas in diese Welt hineinleuchtet, was nicht von
dieser Welt ist.
Mich hat berührt, was Karl Rahner, kurz vor seinem Tod, in einem Vortrag über das Älterwerden dazu gesagt hat. Er hat sich ja in
seiner Theologie sehr intensiv mit dem Tod auseinandergesetzt. Aber als er selbst mit dem eigenen Tod konfrontiert war, spürte er in sich trotz aller
Theologie Angst vor dem Tod. Er schreibt, dass man sich den Tod oft wünscht „in stiller, gefasster Klarheit des Geistes“. Man sollte dazu das Seine
beitragen. Doch dann kommt Rahner darauf zu sprechen, es könnte ja auch ganz anders werden. Man kann „in einen Zustand hinabstürzen, in dem man einfach
nicht mehr kann, wie man – angeblich – sollte, dann hat einem der ewige Gott inseiner Liebe schon sanft alle Verantwortung
für sein Leben abgenommen.“ Das meint: Wir sollen uns auf ein gutes Sterben vorbereiten. Aber wie dann das Alter und das Sterben auf uns zukommt, das
liegt nicht mehr in unserer Hand. Es liegt nicht in unserer Hand, ob wir vorher dement werden und nicht mehr über uns verfügen können. Rahner schreibt zu
dieser Situation: „Zur Aufgabe des Alters gehört es, rechtzeitig diese unbekannt auf uns zukommende Situation des Alters und des Todes anzunehmen und zu
wissen: Alles kann Gnade sein, auch dann, wenn wir nur noch die hilflos Besiegten sind.“ In der Demenz sind wir die hilflos Besiegten. Aber auch das kann
noch Gnade sein. Gott nimmt uns in seiner Gnade die Verantwortung über uns. Er nimmt uns schon hinein in die Unbegreiflichkeit seiner Liebe, in der wir
mit unserer Demenz, auch mit all den unvernünftigen und manchmal wütenden Phasen, geborgen sind.
4. Beziehungen ändern sich und brauchen Pflege
B evor ich im folgenden auf die Beziehungen eingehe, die sich im Laufe des Lebens ändern, die Beziehungen
zwischen Kindern und Eltern, zwischen den Eltern untereinander und zwischen Großeltern und Enkelkindern, möchte ich ein Märchen erzählen, das uns die
Brüder Grimm überliefert haben:
Der alte Großvater und der Enkel
Es war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun bei
Tische saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch, und es floß ihm auch etwas wieder aus dem Mund. Sein Sohn und dessen
Frau ekelten sich davor, und deswegen musste sich der alte Großvater endlich hinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm sein Essen in ein
irdenes Schüsselchen und noch dazu nicht einmal satt; da sah er betrübt nach dem Tisch, und die Augen wurden ihm naß. Einmal auch konnten seine
zitterigen Hände das Schüsselchen nicht festhalten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt, er sagte aber nichts und seufzte nur. Da
kaufte sie ihm ein hölzernes Schüsselchen für ein paar Heller, daraus musste er nun essen. Wie sie da
Weitere Kostenlose Bücher