Leben Ist Jetzt

jüngere Frauen verlieben. Das hat viele Gründe. Es ist natürlich, dass der Mann auch
     in der Ehe andere Frauen attraktiv findet. Doch oft verliebt er sich in eine jüngere Frau, um seinem eigenen Alter aus dem Weg zu gehen. Er hat die
     Hoffnung, durch die jüngere Frau selbst jünger zu werden. Doch das gelingt nicht. Er macht sich damit etwas vor. In zehn Jahren wird er für die jüngere
     Frau wahrscheinlich nicht mehr attraktiv sein. Und er wird sich selbst überfordern, wenn er spürt, dass er mit der Jugend seiner Frau nicht mehr mithalten
     kann.

    Dass sich ein Mann in eine andere Frau verliebt, dagegen kann er selbst nichts machen. Aber es ist seine Verantwortung, wie er damit
     umgeht. Ich verliebemich in die Frau, die etwas in sich hat, was auch in mir ist, was ich aber bei mir vernachlässigt habe. Dann wäre
     das Verlieben die Aufgabe, das von mir Vernachlässigte in mir zu pflegen und zu verwirklichen. Und das Verlieben bringt mich in Berührung mit meiner
     Fähigkeit, zu lieben. Vielleicht hat sich die Liebe zu meiner Frau durch 35 Jahre Ehe abgenutzt. Es sind keine prickelnden Gefühle mehr in der Liebe. Die
     Eroskraft ist verloren gegangen. Dann wäre das Verlieben die Chance, die eigene Ehe wieder mit der ursprünglichen Liebe in Berührung zu bringen. Natürlich
     kann die Liebe nicht mehr so sein wie vor 35 Jahren. Aber es ist trotzdem gut, sich an diese Liebe zu erinnern. Dann erkennen wir, was uns am andern
     damals so fasziniert hat. Das, was uns fasziniert hat, ist ja weiterhin in ihm. Wir müssen es nur wieder neu anschauen.

    Was könnte die Frau tun? Der erste Schritt, den sie tun könnte, wäre, ihren Mann zu verstehen, ohne ihm Vorwürfe zu machen. Aber
     zugleich sollte sie ihn erinnern, dass sie füreinander und für ihre Kinder Verantwortung übernommen haben, dass Liebe nicht nur ein Gefühl ist, sondern
     auch Treue und Fairness und Verlässlichkeit bedeutet. Und sie sollte mit ihrem Mann gemeinsam überlegen, wie ihre Ehe wieder lebendiger werden kann. Es
     kann eine Hilfe sein, gemeinsam eine Paartherapie zu machen oder in eine Eheberatung zu gehen. Dort können beideanschauen, was sie noch
     füreinander bedeuten, aber auch, was sie einander entfremdet hat, was in all den Jahren zu kurz gekommen ist, wo Verletzungen und Enttäuschungen um des
     lieben Friedens willen unter den Teppich gekehrt wurden. Dieses Anschauen der eigenen Ehe ist oft schmerzlich. Aber es kann auch die Chance sein, manches
     zu verändern. Zugleich ist das Anschauen der eigenen Ehe aber auch eine Einladung, sich über den Sinn der Liebe, der Treue und der Partnerschaft Gedanken
     zu machen. Welche Werte tragen uns heute? Im Alter fühlt sich die Liebe anders an. Da geht es nicht mehr nur um Verliebtsein, sondern um das Stehen zum
     anderen, um das Annehmen des anderen so, wie er ist. Wir werden uns dann von romantischen Illusionen verabschieden, die wir oft unbewusst in uns
     tragen. Da ist die romantische Illusion, dass wir immer tiefe Gefühle von Liebe spüren müssen, die uns glücklich machen. Die Gefühle der Liebe wandeln
     sich. Aber entscheidend ist die Liebe als bedingungsloses Annehmen des anderen. Die Liebe schafft einen Raum, in dem der andere er selbst sein kann, aber
     zugleich auch immer mehr in die Gestalt hineinwächst, die seinem Wesen entspricht.

    Wenn sich in der Paartherapie oder in der Eheberatung zeigt, dass die Ehe nicht mehr tragfähig ist, weil die Verletzungen zu stark
     sind, weil man sich heillos zerstritten oder sich völlig voneinander entfremdethat, dann wäre es wichtig, das Scheitern der Ehe zu
     betrauern. Es tut weh, sich einzugestehen, dass ein Lebenskonzept, für das man über 35 Jahre alle Kraft eingesetzt hat, zerbrochen ist. Aber durch das
     Betrauern hindurch können wir in uns neue Möglichkeiten entdecken und auf den Grund der eigenen Seele gelangen. Dort werden wir vielleicht erkennen, dass
     wir uns nicht nur als Ehepartner definieren, sondern unseren tiefsten Grund in Gott haben, dass wir einmalig und einzigartig sind und unseren Wert nicht
     allein von unserem Partner beziehen.

    Es gibt aber selbstverständlich nicht nur das Scheitern einer langen Beziehung, sondern auch das Gelingen. Es ist schön, wenn wir alte
     Ehepaare sehen, die über 30, 40, ja 50 und 60 Jahre gemeinsam ihren Weg gegangen sind. Sie sind sich so vertraut geworden. Einer kennt den anderen und
     nimmt ihn an, so wie er ist. Ihre Liebe ist nicht mehr leidenschaftlich, aber treu und