Leben Ist Jetzt
dem Grund unserer Seele unser wahres Selbst finden
und mit ihm eins werden, dann finden wir in allen äußeren Turbulenzen doch einen inneren Halt.
Religion kann zur Schule des Alters werden
Die Religion hat in jeder Lebensstufe eine eigene Bedeutung. In der Kindheit schenkt Religion eine Geborgenheit über die Geborgenheit
hinaus, die die Eltern zu bieten haben. In der Jugend wird die Religion zur Herausforderung, an sich zu arbeiten und die Haltungen zu verwirklichen, die
die Religion vertritt. Für Erwachsene hat die Religion die Aufgabe, das, was ich tue, zu relativieren, so dass ich nicht nur in der Arbeit und im Erfolg
aufgehe. Die Religion zeigt mir die andere Welt, die die diesseitige Welt übersteigt. Aber zugleich gibt sie mir Kraft, diese Welt im Sinn der Religion zu
gestalten. Im Alter kann Religion wieder Geborgenheit bedeuten. Wie in der Kindheit ist es die Erfahrung eines Getragenseins von Gott, auch in Krankheit,
Abhängigkeit und Hilflosigkeit. Die Religion – so C. G. Jung – war seit jeher die Schule, die uns lehrt, wie wir die zweite Lebenshälfte gut
bewältigen können. Sie lehrt uns, das Irdische loszulassen und die Haltungen wie Gelassenheit, Dankbarkeit, Frieden und Liebe zu lernen. Und die Religion,
die uns ein ewiges Leben verheißt, lehrt uns, den Tod anzunehmen und ihn als Einladung zu verstehen, jetzt bewusst und intensiv zu leben. Sie stärkt die
Gewissheit, dass unser zeitlich begrenztes Leben mit dem Tod nicht völlig und endgültig aus ist, sondern uns die Erfüllung unserer Sehnsucht in einer
unendlichen Liebe erwartet.
Im Alter verändern sich Glaube und Religion auch insofern, als nicht mehr die äußeren Formen so wichtig sind. Viele
alte Menschen können nicht mehr in den Gottesdienst gehen. Dann wird die innere Haltung wichtig. Im Alter geht es darum, in der Stille offen zu werden für
Gott und sich mit allem, was einen erwartet, in Gottes Liebe hinein zu ergeben. Diese innere Haltung der Hingabe an Gott schenkt inneren Frieden und
Gelassenheit und Zuversicht.
Den eigenen spirituellen Weg finden – Vertrauen vertiefen
Der 80-jährige Schriftsteller und Musikkritiker Joachim Kaiser hat kürzlich gesagt: „Ich bin im Alter nicht frömmer geworden.“ Er ist
sicher nicht der Einzige, der das so von sich sagt. Es ist eine Tatsache, dass das Alter nicht automatisch frömmer macht. Es gibt keine Normen, wie man im
Alter zu sein hat, es ist von niemandem festgelegt, ob man da frömmer oder weniger fromm sein soll. Es ist so, wie es ist. Es gibt viele alte Menschen,
die Halt in einem tiefen Glauben finden. Und es gibt andere, die sich jetzt sogar schwer tun mit dem Glauben, der sie jahrelang getragen hat. Neue Zweifel
tauchen auf: Stimmt das alles, was ich geglaubt habe? Kann ich an das ewige Leben glauben? Was erwartet mich wirklich? Es ist gut, wenn wir dann den
Zweifeln Raum geben. Die Zweifel zwingen uns, den Glauben von den Projektionen zu unterscheiden, die wir mit der Religion verbunden haben.
Im Alter eine gesunde und der eigenen Person gemäße Spiritualität zu entwickeln, ist die Aufgabe für jeden Einzelnen. Was die
„richtige“ Spiritualität für einen Menschen ist, kann ein anderer von außen nicht sagen. Spiritualität ist ein Weg in das eigene Innere. Wir können ihr
auch in einem Ritual nachgehen, wenn wir uns einmal in aller Ruhe hinsetzenund in uns hineinhorchen: Was taucht da an Gedanken und
Gefühlen auf ? Sind es nur die Erinnerungen an das Frühere? Sind es Selbstvorwürfe? Sind es nicht erfüllte Wünsche? All diese Gedanken und Gefühle dürfen
sein. Wir können versuchen, durch diese Gedanken und Gefühle hindurch auf den Grund unserer Seele zu gelangen. Dort kommen wir in Berührung mit dem
ursprünglichen Bild, das Gott sich von uns gemacht hat. Wir werden dieses Bild nicht konkret sehen. Aber wir bekommen eine Ahnung davon, wer wir von
unserem Ursprung her sind. Jeder ist einmalig und einzigartig. Spiritualität hat mit dieser Einzigartigkeit zu tun. Auf dem Grund unserer Seele ahnen wir
etwas von unserer Einmaligkeit und zugleich von Gott, der im Grund unserer Seele wohnt als das Geheimnis, das uns übersteigt.
Eine zweite Möglichkeit, den ganz eigenen spirituellen Weg zu finden, ist es, folgenden Fragen nachzuspüren: Was möchte ich mit meinem
Leben? Was ist der Sinn meines Lebens? Besteht der Sinn nur darin, etwas vor den Menschen vorzuweisen? Oder macht meinen wahren Wert etwas anderes
Weitere Kostenlose Bücher