Leben Ist Jetzt
eingeladen, aber da sei er immer zu schüchtern gewesen. Jetzt mit 77 traue er sich, zur Jugendvesper zu kommen, die ihm immer ein Anliegen gewesen
sei. Als alter Mann konnte er gelassen über sich und seine Schüchternheit sprechen. Das hat den jungen Menschen imponiert und sicher auch Mut für ihr
eigenes Leben gemacht. Wer sich im Alter mit sich und dem mangelnden Vertrauen, das er in der Kindheit mitbekommen hat, aussöhnt, in dem wandelt sich
etwas. Er wird nicht mehr so sehr um die Frage kreisen, ob er jetzt vertrauen kann oder nicht. Er ist einfach da. Wenn dann jemand auf ihn zugeht, ist es
gut. Wenn nicht, dann bleibt er bei sich.
Natürlich verlangt das eine gewisse Reife. Und nicht jedem alten Menschen gelingt das. Es gibt immer auch alte Menschen, die ständig darauf aus sind,
anerkannt und gesehen zu werden. Sie müssen sich in den Mittelpunkt stellen, um überhaupt das Gefühl zu haben, dass sie wahrgenommen werden. Sie spüren
sich nur, wenn sie beachtet werden. Doch das sind unreife Formen des Altseins. Das Ziel des Alterswäre, in sich zu ruhen. Und in sich
ruhen heißt für mich auch immer: in Gott ruhen, in Gott den Grund meines Lebenshauses und meines Selbstwerts finden. Und so ist es letztlich die Aufgabe,
sein Vertrauen auf Gott zu setzen, nicht auf die eigene Kraft und nicht allein auf die Menschen. Wenn ich auf Gott mein Vertrauen setze, dann wächst auch
das Vertrauen in Menschen. Ich mache mich in meinem Vertrauen nicht von den Menschen abhängig. In dieser inneren Unabhängigkeit kann ich Sicherheit
gewinnen und neu vertrauen.
Viele sagen, im Alter kommt das deutlicher zum Vorschein, was wir in der Kindheit und Jugend waren. Natürlich gibt es viele alte
Menschen, bei denen das mangelnde Selbstvertrauen im Alter zunimmt. Sie trauen sich selbst nichts mehr zu. Sie blicken ängstlich in die Zukunft. Und sie
haben ein Grundmisstrauen allen Menschen gegenüber: Verwandten, Nachbarn, Freunden, Ärzten und Helfern. Ein alter Mitbruder erzählte mir, er werde im
Alter immer empfindlicher. Und er erklärte mir, woher das kam. Er hatte früh seinen Vater verloren. Jetzt im Alter spürt er den Verlust, nie einen Vater
gehabt zu haben, der ihm den Rücken stärkt. Im Alter kann man diesen Verlust nicht wieder gut machen. Aber indem ich ihn eingestehe und den Schmerz
nochmals spüre, der mit diesem Verlust verbunden war, kann sich die Wunde langsam wandeln. Ich bleibe empfindlich.Aber ich söhne mich
damit aus. Ich werde sensibler anderen gegenüber. Auf diese Weise wird die Wunde langsam in eine Perle verwandelt, wie es Hildegard von Bingen als Ziel
unserer Menschwerdung beschrieben hat.
Wir sind nicht einfach dem, was wir waren, ausgeliefert. Wir können an uns arbeiten. Wir können gelassener werden und Vertrauen
gewinnen, Selbstvertrauen, Vertrauen in die Menschen und Vertrauen in Gott. Letztlich ist das Vertrauenlernen eine spirituelle Aufgabe. Ich lerne zu
verstehen, dass ich von Gott bedingungslos angenommen bin. Ich versuche mein Vertrauen auf Gott zu setzen. Aber wenn ich an Gott glaube, dann werde ich
auch an die Menschen glauben. Ich glaube, dass sie Kinder Gottes sind, dass in jedem Christus und in jedem ein guter Kern ist, zumindest die Sehnsucht,
gut zu sein.
Ängste sind auch eine Einladung
Wer in sich hineinspürt, entdeckt vielleicht eine ganze Reihe Ängste, wenn er an sein eigenes Alter denkt: Wer wird sich dann um mich
kümmern? Wie gehe ich mit dem körperlichen und geistigen Abbau um? Wie kann ich weiterleben, wenn mein Partner stirbt? Werde ich auf die Hilfe anderer
angewiesen sein? Wer wird sich um mich kümmern? Werde ich genügend Geld haben? Wie kann ich es verhindern, in ein Heim zu kommen?
Wir dürfen diese Ängste haben. Wir sollen uns nicht unter Druck setzen, immer mit Vertrauen in die Zukunft schauen zu müssen. Die
Ängste sind einfach da. Am besten ist es, die Ängste einzeln anzuschauen und sich zu fragen: Wie kann ich auf die Angst reagieren? Die Angst könnte eine
Einladung sein, jetzt schon finanziell für mein Alter vorzusorgen. Die Vorsorge kann die Angst vor der Altersarmut ein wenig eindämmen. Aber allein durch
äußeres Tun und Vorsorgen verschwindet die Angst nicht ganz. Ich kenne auch Menschen, die alles tun, um sich für das Alter abzusichern und trotzdem in der
ständigen Angst vor dem leben, was im Alter alles eintreten könnte. Daher gilt es auch, an seiner Einstellung zu arbeiten. Ich muss
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