Leben Ist Jetzt
erfreuen. Die Depression zeigt mir, dass alles vergänglich ist, dass ich mich
von all dem verabschieden muss, woran ich heute noch hänge.
Die Jüngeren lieben und die Älteren ehren
Die hl. Benedikt stellt für das brüderliche Miteinander in seiner klösterlichen Gemeinschaft die Regel auf: „Die Jüngeren sollen die
Älteren ehren, die Älteren die Jüngern lieben.“ (RB 63,10) Benedikt fordert von beiden etwas, von den Jüngeren und von den Älteren. Die Älteren sollen
die Jüngeren lieben. Lieben meint, die anderen so anzunehmen, wie sie sind, sie gern haben. Lieben ist das Gegenteil von Neid. Wenn die Alten die Jungen
um ihre Jugend beneiden, dann werden sie oft hart im Urteil über die Jugend. Das harte Urteil will nur darüber hinwegtäuschen, dass die Alten mit sich
selbst nicht zufrieden sind, dass sie sich selbst nicht ehren und achten.
Die Jüngeren sollen die Älteren ehren. Ehren heißt nicht, dass ich mich den Alten unterwerfe oder alles für gut halte, was sie
tun. Aber ich achte sie. Auch hinter der dementen Fassade ist ein einmaliger Mensch, mit einer göttlichen Würde. Die Älteren ehren heißt für mich, dass
ich mich vor ihnen und dem Geheimnis ihres Lebens verbeuge. Ich achte ihr Leben, auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin, was sie gelebt
haben. Aber ich urteile nicht über sie. Ich lasse ihr Leben in seiner Unbegreiflichkeit stehen. Die Älteren ehren heißt immer auch, sich selbst
achten. Wer die Alten verachtet, verachtet einen Teil seiner selbst. Denn ein Teil von ihm ist jaauch alt. Und er selbst wird alt
werden. So drückt er mit seiner Verachtung der Alten seine eigene Angst aus, alt zu werden und er ehrt sich selbst nicht.
Die Älteren ehren bedeutet also, die eigene Herkunft respektieren. Ich schaue auf das, was ich von den Alten empfangen habe. Ich muss nicht alles von
ihnen übernehmen. Aber ich habe mit meinem Leben auf das zu antworten, was sie vor mir gelebt haben. Das meint ehren: Ich respektiere ihre Lebensleistung,
ihren Versuch, in ihrer Geschichte mit den Voraussetzungen, die sie mitgebracht haben, das Beste zu machen. Ich kopiere sie nicht, aber ich respektiere
sie und versuche, im Blick auf sie meine eigene Identität zu finden und das zu entdecken, was mein Leben wertvoll macht.
6. Sich der eigenen Seele öffnen
C . G. Jung meint, das Ziel des Älterwerdens ist, immer mehr in Berührung mit seiner Seele zu
gelangen. „Seele“ meint den inneren Bereich des Menschen, den Bereich, in dem Gott selbst in ihm wohnt. Der spirituelle Weg kann eine große Hilfe sein,
im Prozess des Älterwerdens mit seiner Seele in Kontakt zu kommen. Wer mit seiner Seele in guter Fühlung lebt, der wird unabhängig von der Meinung der
Menschen. Der hat keine Angst vor dem Älterwerden. Denn er definiert sich nicht von äußeren Dingen, sondern vom Reichtum seiner Seele her.
Jeder hat andere Wege gefunden, mit seiner Seele in Berührung zu kommen. Für die einen ist es die Religionsausübung wie das tägliche
Beten, der sonntägliche Kirchgang, die Meditation und das Lesen der Bibel. Andere gehen den Weg nach innen über die Musik. In der Musik öffnen sie sich
ihrer Seele. Die Musik beflügelt ihre Seele. Für andere ist es die Kunst. Sie spüren in der Begegnung mit den Bildern großer Künstler den Reichtum ihrer
eigenen Seele. Ihre Seele ist nicht nur fromm. Aber im Schauen der Bilder entdecken sie in ihrer Seele neben denAbgründen des Dunklen
und des Bösen auch die Sehnsucht nach Gott. Andere kommen in der Natur mit ihrer Seele in Berührung. Da beginnt sie, aufzuatmen.
Aber manchmal brauchen wir uns gar keinen Weg zu suchen, um in Kontakt mit der eigenen Seele zu gelangen. Das Leben selbst bricht uns
auf, damit wir nach innen gehen. Die Brüche des Leben zerbrechen auch die Panzer, die wir um uns herum aufgebaut haben, um uns vor unserer eigenen Seele
zu schützen. Wenn wir in unserem Beruf scheitern, wenn uns die Gesundheit vor Probleme stellt, wenn eine Beziehung auseinander geht, wenn der Ehepartner
vor uns stirbt, dann werden die äußeren Absicherungssysteme brüchig. Wir spüren gerade in diesen Erfahrungen unsere Seele. Wir erkennen, dass wir bei all
der äußeren Brüchigkeit nicht bestehen können, wenn wir unser Lebenshaus auf das Äußere bauen. Wir brauchen die Seele, die unserem Leben wahren Halt gibt
und in der wir die eigene Einmaligkeit erkennen, in der wir das eigene Selbst entdecken. Wenn wir auf
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