Leben Ist Jetzt
aus?
Spiritualität heißt, durchlässig zu sein für den Geist Gottes, für den Geist Jesu Christi, offen zu sein dafür, dass wir in dieser Welt etwas ausstrahlen
vom Geist Jesu. Das bedeutet aber, selbst immer wieder neu zu fragen: Wer ist dieser Jesus Christus für mich? Wie hat er gedacht, wie hat er von Gott
gesprochen?Was hat er ausgestrahlt? Was ist die Essenz seines Lebens? Wie verändert seine Person und seine Geschichte mein eigenes
Leben, mein Denken und Sprechen? Wenn ich mich auf diese Fragen einlasse, wird die Ahnung möglich, dass es um Durchlässigkeit für Gott geht, letztlich um
die Durchlässigkeit für die Liebe, die mehr ist als unser Gefühl.
Der dritte Weg, die eigene Spiritualität zu finden, ist die konkrete Lebensgestaltung. Spiritualität lebt oft von konkreten
Ritualen. Rituale bringen mich immer wieder in Berührung mit meinem wahren Wesen. Sie geben mir Anteil an dem Glauben derer, die vor mir gelebt haben und
mit diesen Ritualen ihren Glauben ausgedrückt haben. Jeder kann sich fragen, was für ihn gute Rituale wären, durch die er in Berührung kommt mit dem
Glauben, der ihn als Kind getragen hat, mit dem Glauben, der seinen Vorfahren die Kraft schenkte, ihr Leben mit all den Bedrohungen und Bedrängnissen zu
meistern. Das geistliche Leben braucht eine ganz bestimmte Form, eine Kultur des Lebens. Dazu gehören auch die gemeinsamen Rituale, wie sie in den
kirchlichen Gottesdiensten gefeiert werden. Ich kann nicht – wenn ich es jahrelang nicht praktiziert habe – auf einmal zum eifrigen
Kirchgänger werden. Aber vielleicht probiere ich es einmal aus, in den Gottesdienst zu gehen. Wenn ich all die negativen Erfahrungen, die ich vielleicht
mit Kirche gemacht habe, einmal weglasse, werde ich vielleichtdoch von dem einen oder anderen Wort oder Lied oder Ritual berührt.
Wer sich auf seinem spirituellen Weg immer und überall von Gottes heilender und liebender Nähe umgeben weiß, der kann leichter auch
mit schwierigen Zeiten umgehen, mit Zeiten der Krankheit, der Einsamkeit, des Verletztwerdens. Er verliert die Angst vor der Vereinsamung, vor der
Hilflosigkeit und Schwäche des Alters. Er vertraut darauf, dass er in allen Situationen in Gottes guter Hand ist, von seinem Segen begleitet. Man könnte
sagen: Spiritualität im Alter bedeutet, dass ich mit dem inneren Raum der Stille in Berührung bin, in dem Gott in mir wohnt. Diese Wohnung Gottes in mir
wird im Tod nicht zerstört, sondern nur verwandelt in die ewige Wohnung, in der ich für immer in ihm daheim sein darf.
„Wenn die äußere Sehkraft nachlässt, wird die innere Sehkraft stärker“
Die innere Sehkraft wird im Alter nicht automatisch stärker. Viele betäuben sich vielmehr, indem sie den ganzen Tag den Fernseher
laufen lassen, um sich noch lebendig zu fühlen. Oder sie decken ihre innere Leere mit zahllosen Aktivitäten zu. Es ist eine Herausforderung des Alters,
nach innen zu gehen. C. G. Jung hat das als die eigentliche Aufgabe des Alters gesehen: den Weg nach innen zu gehen, den Weg in den eigenen Seelengrund zu
beschreiten. Auch Hermann Hesse hat davon geschrieben, dass er im Alter die Stille sucht, weil er tiefer sehen und sich nicht mit dem Oberflächlichen
zufriedengeben möchte. Wenn ich außen nicht mehr viel habe, was mich befriedigt, ist der Weg nach innen zugleich ein Weg zum inneren Reichtum, zum
Reichtum der eigenen Seele, zum Schatz der Erinnerungen, die in mir bereit liegen, aber letztlich auch zum Schatz des wahren Selbst, zum Schatz Gottes in
mir.
„Wenn die äußere Sehkraft nachlässt, wird die innere Sehkraft stärker“, dieser Satz Platons lässt vielleicht manchen, der das bei
sich nicht erlebt, fragen: Mache ich etwas verkehrt? Wie finde ich Zugang zu meinem Inneren, zu meiner Seele? Eine Übung, die der Focusingtherapeut Klaus
Renn seinen Klienten vorschlägt, kann helfen, den Weg zu sich selbst zufinden. Wenn wir uns bequem hinsetzen und in unseren Leib
hineinhorchen, können wir fragen: Wo fühlt es sich in meinem Leib am besten an? Wo ist ein angenehmer Ort in meinem Leib, an dem ich mich wohl fühle? Ich
kann diesen angenehmen Ort dann mit meinem sanften Atem betreten und in diesem inneren Raum ein wenig verweilen. Was kommen da für Ahnungen und Sehnsüchte
in mir hoch? Vielleicht spüre ich, dass ich auf einmal in meinem Leib zu Hause bin, dass ich ganz bei mir selbst bin. Ich höre auf, außen spazieren zu
gehen. Ich höre auf,
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