Leben Ist Jetzt
äußere Ergebnisse schauen. Ich bin durch das, was ich gemacht und
was ich gelebt habe, der geworden, der ich jetzt bin. Das habe icherreicht. Ich bin bei mir angekommen. Ich habe mich erreicht, ich
habe mein wahres Wesen erlangt. Und ich soll dankbar auf das schauen, was ich jetzt bin.
Viele haben im Alter den Eindruck, dass sie die Lebensträume ihrer Kindheit und ihrer Jugend nicht erfüllt haben, dass sie an ihnen
vorbei gelebt haben. Vielleicht haben sie den Traum von einer großen Familie gehabt. Doch aus der Partnerschaft ist nichts geworden oder dem Ehepaar sind
Kinder verwehrt geblieben. Nicht der Lebenstraum an sich ist zerbrochen, sondern nur die konkrete Ausführung, die ich mir vorgestellt habe. Aber die
Essenz des Lebenstraumes bleibt. Die Essenz des Lebenstraumes einer großen Familie könnte sein, dass ich durch meine Begegnungen, durch meine
Freundschaften, durch meine Arbeit als Lehrerin eine andere Familie gegründet habe, eine Familie von Gleichgesinnten. Ich habe zwar keine Kinder
gehabt. Aber viele haben durch mich das Leben gelernt. So ist mein Leben doch fruchtbar geworden. Wenn wir das Gefühl haben, unseren Lebenstraum nicht
gelebt zu haben, sollen wir genau nachfragen, was denn hinter den konkreten Träumen an eigentlicher Essenz versteckt liegt. Und diese Essenz können wir
jetzt immer noch leben.
Ganz gleich, welchen Lebenstraum wir hatten, wir sollen versuchen, ihn heute neu zu träumen. Wir sollen mit dem Traum nicht der Wirklichkeitausweichen, sondern uns selbst realistisch fragen, wie wir das Wesen des Lebenstraumes heute mit all dem, was wir gelebt haben, verbinden
können. Das, was ich gelebt habe, ist wertvoll. Das hat mich zu dem gemacht, der ich jetzt bin. Aber ich soll auch in mich hineinspüren, wie ich das, was
ich jetzt bin, mit meinem Lebenstraum verbinden kann und was jetzt in mir neu aufblühen möchte.
Auch in der Depression kann eine Weisheit liegen
Fast alle Menschen kennen Zeiten, in denen sie sich freudlos und traurig oder mutlos und niedergeschlagen fühlen. Verlusterlebnisse
häufen sich aber im Alter. Wir verlieren Angehörige, Freunde. Im Beruf müssen wir loslassen. Die Gesundheit ist nicht mehr wie früher. Depressive
Störungen, mutlose und freudlose Phasen können dann die Lebensqualität stark beeinträchtigen. Das Gefühl der Wertlosigkeit, der Verlust an Interesse oder
die Unfähigkeit, Freude zu zeigen, sind Anzeichen dafür.
„Du bist so jung wie deine Zuversicht“: Diesen Satz Albert Schweitzers darf man nicht umdrehen. Denn es stimmt ja nicht, dass Depression, Trauer,
dunkle Phasen nur dem Alter zuzurechnen sind, auch wenn Altersdepressionen häufig auftreten. Sie haben verschiedene Ursachen und auch verschiedene
Farben. Man kann eine Altersdepression aber unabhängig von der psychischen Ursachenforschung oder der klinischen Diagnose auch als etwas Positives
verstehen: als eine Einladung, sich zu verabschieden von den Illusionen, die wir uns vom Leben gemacht haben. Etwa von der Illusion, dass sich die Jungen
um uns kümmern und uns achten. Oder von der Illusion, dass wir bis zuletzt den Menschen etwas zu sagen haben und dass unsere Meinung gefragt ist. Es ist
schmerzlich, all das zu verabschieden, was unsein Leben lang ausgemacht hat. Wenn dieser Abschied nicht gelingt, dann reagiert die
Seele in einer Depression. Dann müssen wir uns der eigenen Trauer stellen. Die Altersdepression ist nicht einfach eine Krankheit. Sie ist oft die
Einladung, sein Altsein anzunehmen und all das loszulassen, was mir im Leben wichtig war und was mir das Alter nun wegnimmt. Es ist die Einladung das, was
mir genommen wird, zu betrauern, um durch das Betrauern in den eigenen Seelengrund zu gelangen und dort die neuen Möglichkeiten zu entdecken, die im
Altsein stecken.
Das Wort von Albert Schweitzer dürfen wir nicht als Vorwurf benutzen gegenüber alten Menschen, die an depressiven Verstimmungen
leiden. Es erinnert mich vielmehr daran, dass ich trotz aller Trauer auch zuversichtlich in die Zukunft schauen soll. Gott wird mich weiterhin
begleiten. Auch im Alter werde ich Neues entdecken. Für C. G. Jung ist die Altersdepression durchaus etwas Positives. Sie zeigt mir, dass meine Seele
schon ein wenig Abschied nimmt von dieser Welt. Daher kann diese Welt sie letztlich nicht mehr erfreuen. Das ist aber nur ein Aspekt des Alters. Wenn ich
dem Dunklen in mir nicht ausweiche, dann kann ich mich auch wieder am Licht
Weitere Kostenlose Bücher