Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst
zu Plunder. Wir kommen an einem Bild auf einer Staffelei vorbei, an dem sie heute gearbeitet haben muss. Jetzt ist es allerdings mit einem Tuch verhängt, ich kann also nicht sehen, was es ist. Wir setzen uns und sie nimmt meine Hand in ihre. »Ich weiß, dass es schwer für dich ist«, sagt sie sanft. »Du willst den Anweisungen deines Vaters folgen, aber vielleicht müssen wir einfach einen anderen Weg finden.«
»Lizzy und ich haben schon alles andere probiert«, erkläre ich ihr. »Die einzige Möglichkeit, ins Innere der Kassette zu kommen, sind die Schlüssel. Sonst machen wir die Kassette kaputt.«
»Das will ich auch nicht«, sagt sie. »Aber jetzt musst du das erst mal zurückstellen und dich um diesen Schlamassel mit den Sozialstunden kümmern, in den du dich hineingeritten
hast. Vor deiner Aufgabe bei diesem Mann kannst du dich nicht drücken.«
»Und was ist, wenn er so ein schmieriger Pfandleiher ist, der bloß kostenlose Arbeitskräfte haben will?«
»Ist er nicht«, versichert sie mir. »Ich habe mir von Wachtmeister Polansky Mr Oswalds Telefonnummer geben lassen, um ihm auf den Zahn zu fühlen. Ich lasse mir meinen Kleinen doch nicht von einem x-Beliebigen entführen.«
Ich stöhne auf. »Mom!«
»Entschuldigung«, sagt sie. »Ich lasse mir meinen Sohn, der fast im Teenageralter ist, nicht von einem x-Beliebigen entführen.«
»Schon besser.«
»Er ist ein sehr interessanter Mann. Und ich glaube, du wirst diesen Job bald …«
»Das ist kein Job«, erinnere ich sie. »Ein Job ist etwas, wofür man bezahlt wird.«
Sie schüttelt den Kopf. »Bei einem Job wird dir eine Aufgabe zugewiesen und du erfüllst sie nach besten Kräften. Mit oder ohne Geld. Jedenfalls, was ich sagen wollte: Ich glaube, es könnte dir tatsächlich Spaß machen, bei Mr Oswald zu arbeiten. Ihr werdet möglicherweise feststellen, dass ihr eine Menge gemeinsam habt.«
»Und das wäre?«, frage ich, aber es interessiert mich nicht wirklich. Mein Magen knurrt. Jetzt, wo ich weiß, dass Mom mich nicht bestraft, ist mein Appetit zurückgekehrt.
»Der Mann hat sein Leben inmitten von Dingen anderer Leute verbracht. Erinnert dich das an irgendwen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, steht sie vom Sofa auf und sagt: »Und übrigens, du hast eine Woche Hausarrest. Normalerweise wäre
es mehr, aber ich denke, du hast deine Strafe bereits bekommen. Du wirst deine Sozialstunden ableisten und danach auf direktem Weg nach Hause kommen.«
Ich seufze dramatisch. »Mir kommt es fast so vor, als wolltest du nicht, dass ich die Schlüssel finde.«
»Du weißt, dass das nicht stimmt«, sagt Mom. »Es wird alles genau so geschehen, wie es geschehen muss.« Sie geht in die Küche hinüber und ich folge ihr.
»Was soll das jetzt wieder heißen?«, frage ich. Bevor sie antworten kann, klingelt das Telefon. Das Display zeigt an, dass es Lizzys Vater ist. Mom hebt ab und sagt: »Ja, er hat eine Woche Hausarrest. Ja, ich warte morgen, bis der Wagen kommt, und ruf dich auf der Post an. Danke, Herb.« Sie legt auf. »He, du bist noch glimpflich davongekommen. Lizzy hat zwei Wochen Hausarrest.«
Arme Lizzy. Sie wollte mir doch nur helfen. Sie hat garantiert auch nicht vorgehabt, ihren Sommer so zu verbringen.
»Was möchtest du zum Abendessen haben?«, fragt Mom und greift im Schrank bereits nach der Käse-Makkaroni-Packung.
»Warum fragst du eigentlich, wenn du’s sowieso schon weißt?«
»Ich hoffe immer, dass du mich mal überraschst.«
»Nicht heute.«
Nach jahrelangen Versuchen, mich zu normalem Essen zu bewegen, hat Mom aufgegeben. Zum Abendessen haben wir jetzt vier Gerichte zur Auswahl: Makkaroni mit Käse, Hotdogs, Fischstäbchen oder, wenn wir ausgehen, Pizza. Einmal hat Mom versucht, ein Hühnchen zu braten und in die Form von Fischstäbchen zu pressen, aber so dumm war ich nicht.
Sie stellt einen Topf auf den Herd und gießt Wasser hinein. »Du treibst mich noch irgendwann in den Suff mit deiner Essensverweigerung«, sagt sie.
In Anbetracht der Tatsache, dass unser Haus eine alkoholfreie Zone ist, mache ich mir da nicht allzu viele Sorgen, es sei denn, ich treibe sie zum Saufen von Schokoladenmilch.
»In zwei Wochen wirst du dreizehn«, sagt sie. »Es ist an der Zeit, deinen Horizont zu erweitern. Ich werde ab jetzt jeden Montagabend eine neue Sache einführen.«
Nach allem, was heute passiert ist, wage ich nicht zu widersprechen. »Klar, Mom«, sage ich in der Hoffnung, dass sie Nachsicht üben und nicht direkt mit Brokkoli
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