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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Mass
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Computer ein. Er tippt sehr langsam, Lizzy hat also reichlich Zeit, mich ins Bein zu kneifen. Ich zucke zurück, merke, dass ich die Luft angehalten habe, und lasse sie schnell raus.
    »Wofür war das jetzt wieder?«, frage ich aus dem Mundwinkel.
    »Du bist puterrot angelaufen«, zischelt Lizzy.
    »Du hast geschworen , dass wir nicht verhaftet werden!«, zischle ich zurück.

    »Wir werden auch nicht verhaftet!«, sagt sie und vergisst dabei, die Stimme zu senken. Dann ergänzt sie leiser: »Oder?«
    Wachtmeister Polansky wirft uns einen langen Blick zu. Wir versuchen, mit großen Augen so unschuldig wie möglich dreinzuschauen. Mom hat mir mal gesagt, in schwierigen Situationen sollte ich es mit sonnigen Gedanken probieren: Gedanken an Schmetterlinge, lachende Babys, Würstchen im Baseballstadion an einem sonnigen Tag. Ich denke also an lachende Babys in einem Baseballstadion, umringt von Schmetterlingen, die Würstchen essen. Klitzekleine, winzige Würstchen. Ich kann mich nicht für das verbürgen, was Lizzy denkt, aber es muss etwas Gutes sein, denn Wachtmeister Polansky sagt: »Nein, ich werde euch nicht verhaften.«
    »Aber Sie bringen uns vor den Jugendrichter?«, fragt sie ihn und sieht ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
    Ich stöhne auf. Wachtmeister Polansky lacht. »Nein, ich stecke euch auch nicht in die Jugendstrafanstalt. Ich dachte eher an das Ableisten von Sozialstunden. Ihr habt keine großen Pläne für diesen Sommer, richtig?«
    Ich denke an die Kassette und sage: »Also, eigentlich …«
    »Nö«, fährt Lizzy dazwischen. »Sozialstunden sind in Ordnung.«
    »Ich schaue mal nach, was angeboten wird«, sagt er und zieht ein Klemmbrett aus seiner Schreibtischschublade.
    »Äh, müssen Sozialstunden nicht vom Richter zugewiesen werden?«, frage ich.
    »Wir vereinfachen den Ablauf«, erklärt der Polizist, »es sei denn, ihr wollt, dass ich einen Richter hinzuziehe …«
    Lizzy tritt mich gegen den Knöchel, was ganz schön wehtut.
    »Ich nehme das mal nicht an«, sagt er. Er überfliegt die Liste,
die er vor sich hat. »Ich bin sogar ein freundlicher Mensch und nenne euch ein paar Jobs zur Auswahl.«
    »Großartig«, murmle ich vor mich hin. Ich kann es nicht glauben, dass ich ein paar Tage nach Schulschluss in einer Mini-Polizeiwache sitze und Sozialstunden für den Sommer aufgebrummt bekomme. Wie ist das passiert? Wie soll ich die Kassette aufkriegen, wenn ich nicht nach den Schlüsseln suchen kann, weil ich zu sehr damit beschäftigt bin, Müll vom West Side Highway aufzulesen oder Blumen in einem Kirchgarten zu pflanzen?
    »Schauen wir mal«, sagt Wachtmeister Polansky und fährt mit dem Finger die Liste entlang. Offenkundig entgeht ihm der Aufschrei meiner inneren Stimme. »Hier haben wir was. Ihr könnt im Central Park nach den freien wöchentlichen Konzerten Müll aufsammeln. Wie klingt das?«
    Ich traue mich nicht, den Mund aufzumachen.
    »Das wäre nicht so übel«, sagt er. »Wir würden euch mit Greifstangen ausstatten, damit ihr den Müll nicht mit den Händen anfassen müsst. Und alle Getränkedosen, die ihr findet, könnt ihr behalten und für fünf Cent in der Recycling-Stelle abgeben.«
    »Was haben Sie noch?«, fragt Lizzy unverblümt.
    Er zieht noch mal seine Liste zurate. »Also, bei der einzigen anderen Stelle, in der Kinder wie ihr genommen würden, geht es darum, für einen gewissen Mr Oswald ein paar Dinge einzupacken. Er schließt sein Pfandleihhaus und zieht nach Florida. Bei dem Job könnte allerdings einiges zu heben sein, und mal ehrlich, ihr zwei seid nicht grade die kräftigsten Exemplare, die mir bisher untergekommen sind.«
    »Das machen wir«, sagen Lizzy und ich aus einem Mund.

    »Wir sind stärker, als wir aussehen«, füge ich hinzu. Während das für Lizzy zutrifft, bin ich allerdings vermutlich gerade mal so stark, wie ich aussehe.
    Der Polizist überlegt und sagt dann: »In Ordnung. Ich rufe Mr Oswald an und erkundige mich, wann ihr anfangen sollt.«
    Er schiebt zwei kleine Notizhefte zu uns herüber. »Ihr müsst Buch führen über die Stunden, die ihr mit der Arbeit verbringt, und eure Überlegungen dazu notieren. Wir können euch jederzeit auffordern, die Unterlagen abzuliefern, damit wir uns vergewissern können, dass ihr euch nicht um eure Pflichten drückt.«
    »Überlegungen?«, frage ich. »Was für welche?«
    »Bei Sozialstunden geht’s nicht nur darum, Leute unentgeltlich arbeiten zu lassen. Als Bürger soll man etwas aus dieser Erfahrung lernen.

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