Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst
Kopf langsam aus
der Decke und sehe Lizzy stocksteif in der Mitte des Raums stehen. Ein sehr stämmiger und sehr rotgesichtiger Polizist mit der vollständigen Ausrüstung der New Yorker Polizei steht neben ihr. Der Wachmann von unten füllt den Türrahmen weitgehend aus.
Als ich vom Tisch klettere, ist das Einzige, was mir einfällt: »Ich hab’s dir ja gesagt, wir hätten ihm das Riesen-Snickers geben sollen!«
Kapitel 7: Der Job
»Du hast kein Wort vom Snickers gesagt!«, zischt Lizzy, während wir in eine Miniatur-Polizeiwache direkt im Untergeschoss des Gebäudes gebracht werden.
»Na ja, jedenfalls hab ich’s gedacht« , antworte ich lahm.
Der Wachmann, der uns verpfiffen haben muss, wechselt noch ein paar Worte mit dem Polizisten und geht weg, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen. Inzwischen gibt uns der Polizist, auf dessen Namensschild POLANSKY steht, zu verstehen, dass wir uns auf die Holzbank gegenüber von seinem kleinen Tisch setzen sollen. Wenn man mal außer Acht lässt, dass er keinen Bart hat, würde er im Kaufhaus einen guten Weihnachtsmann abgeben. Allerdings ist er nicht besonders fröhlich, darum würde er die Stelle vermutlich nicht lange behalten.
»Hättet ihr die Freundlichkeit, mir zu erzählen, was ihr euch dabei gedacht habt, als ihr da oben im Büro mutwillig Sachen beschädigt habt?«, fragt er und lehnt sich auf seinem Stuhl nach vorn.
Lizzy und ich wechseln einen Blick. Ich sehe, dass sie Bammel hat, auch wenn sie versucht, die Mutige zu spielen. Bevor ich richtig nachgedacht habe, sage ich: Ȁh, wir kennen ihn,
ich meine, Folgard. Harold. Ich weiß, wir haben dem Wachmann erzählt, dass er unser Onkel ist, aber in Wirklichkeit ist er ein Freund von meinen Eltern. Ich meine, von meiner Mutter. Mein Vater … er ist nicht da, deswegen …«
»Was mein Bruder sagen will«, unterbricht Lizzy, »ist, dass ›mutwillig Sachen beschädigen‹ ganz und gar nicht der richtige Ausdruck ist. Schauen Sie mal, wir hatten Besucherpässe und durften nach oben.« Sie deutet auf die Schilder an unserer Brust. »Das Ganze ist also ein großes Missverständnis.«
»Nicht so schnell«, sagt Wachtmeister Polansky, während Lizzy schon nach ihrem Aktenkoffer greift. »Das Büro gehört nicht mehr Folgard und Levine. Letzte Woche ist es an die Buchhaltungsfirma J&J vermietet worden. Deren Büro habt ihr mutwillig beschädigt.«
Lizzy flüstert aus dem Mundwinkel: »Jetzt kommt er schon wieder mit diesem Ausdruck an.«
»Der Wachmann in der Eingangshalle hat eine direkte Videoverbindung zu allen leer stehenden Büros. Muss dafür sorgen, dass keine Hausbesetzer hier reinkommen. Und er hat gesehen, wie ihr Privateigentum kaputt gemacht habt.«
Ich habe keine Ahnung, ob er uns nun auch noch für Hausbesetzer hält, aber ich mache mir nicht die Mühe, zu fragen. Stattdessen sage ich: »Ganz ehrlich, wir haben nur nach ein paar Schlüsseln gesucht, die Mr Folgard vor langer Zeit da oben versteckt hat. Wir wollten nichts kaputt machen.«
»Einbruch ist ein schwerwiegendes Delikt, das sollte euch klar sein«, sagt er.
Ich werfe Lizzy empörte Blicke zu. Sie schrumpft ein bisschen auf ihrem Sitz, dann sagt sie: »Aber die Tür war nicht abgesperrt, also war es auch kein richtiger Einbruch. Wir sind
nur reingegangen. Mal ehrlich, was ist eigentlich so schlimm dran, wenn man irgendwo reingeht?«
»Meiner Meinung nach«, sagt Wachtmeister Polansky, von Lizzys Logik offensichtlich nicht beeindruckt, »schuldet ihr nicht nur der J&J-Buchhaltung das Geld für einen neuen Teppichboden, sondern ihr müsst auch dem Gemeinwesen gegenüber eure Schuld begleichen, weil ihr euch an anderer Leute Eigentum vergriffen habt.«
Einen Moment lang sagt keiner von uns etwas. Ich rechne nach, wie viele Wochen Taschengeld es kosten wird, einen neuen Teppichboden zu kaufen und zu verlegen. »Könnten wir nicht einen Brief an J&J und, na ja, an das Gemeinwesen schreiben, in dem wir uns für das Missverständnis entschuldigen?«, frage ich und hoffe, dass er den aufrichtigen Ton in meiner Stimme wahrnimmt.
Er beachtet meine Frage gar nicht und sagt: »Also dann. Tony und Tia, das sind nicht eure richtigen Namen, stimmt’s?«
Zunächst antwortet keiner von uns. Als Tony Castaway hatte ich mich gegen die Realität unserer Situation beschützt gefühlt. Als Jeremy Fink dagegen gibt es für mich kein Entkommen. Wachtmeister Polansky verlangt, dass wir ihm unsere wirklichen Namen und Adressen sagen, und gibt sie in seinen
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