Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
jagen.“
Jedenfalls ein guter Satz. Ich werde ihn bringen. Und ob. Zwist und Neid im Literaturbetrieb. Zwar nicht so reißerisch wie internationaler Terror, aber auch nicht schlecht. „Ob Ihnen auf der Gala irgendetwas Besonderes aufgefallen ist, brauche ich Sie wohl nicht zu fragen, oder?“
Er sieht mich spöttisch an: „Mir ist aufgefallen, dass dort viel zu viele Journalisten waren, die gierig nach einer Story gesucht haben, für die sie kein Buch lesen müssen.“
Ich lächle und sehe auf die Uhr. „Herzlichen Dank.“ Ich zahle im Gehen, und als ich mich noch einmal umdrehe, sehe ich, wie er hektisch telefoniert. Will er herausfinden, wie viel ich tatsächlich weiß? Wahrscheinlicher ist, dass er zu klären versucht, ob es wahr ist, dass er keinen Preis bekommen hat.
Rathaus. Vor dem Eingang noch immer zwei Männer mit Maschinenpistole im Anschlag. Vielleicht wäre es besser gewesen, die Bombendrohung einfach zu ignorieren. Wir hätten uns eine Menge erspart. Verletzte und Aufgeregte und Beleidigte und diese Schwerbewaffneten. Und was, wenn es die Bombe doch gegeben hätte? Genau von diesem Gedanken leben Attentäter. Einen Bombenalarm zu ignorieren hieße, selbstherrlich über Menschenleben zu entscheiden. – Der Portier, wahrscheinlich ist auch er von einem Sicherheitsdienst, überprüft meinen Ausweis genau, dann bekomme ich einen Begleiter mit, der mich zum Bürgermeisterbüro führt. Er trägt seine Waffe wenigstens nicht offen, aber ich bemerke die Ausbuchtung an der braunen Jacke. Vorzimmer, bitte durch, Bürgermeisterzimmer. Ich kenne den imposanten Raum von diversen Hand-Shake-Terminen. Hier empfängt der Wiener Stadtchef seine Gäste und lässt Journalistinnen wie mich daran teilhaben. Ich atme durch. Ich will es nicht, aber ich soll ihm klarmachen, dass unsere gemeinsame Flucht dringend im „Magazin“ beschrieben werden muss.
Der Bürgermeister kommt mir entgegen und reicht mir mit einem Lächeln die Hand. So als wäre ich die Bürgermeisterin von St. Petersburg und rund um uns wären Pressefotografen. Seit er mitbekommen hat, dass ich gerne koche und mit dem Koch Manninger befreundet bin, habe ich bei ihm einen großen Pluspunkt. Er isst gerne. Und er trinkt gerne. Man kann alles Mögliche an seiner Politik kritisieren, aber er ist wenigstens keines dieser stromlinienförmigen Meinungsforschungsprodukte.
„Noch einmal danke, dass ich mit Ihnen auf anderem Weg aus dem Rathaussaal gekommen bin“, beginne ich. Warum „noch einmal“? Eigentlich hab ich mich noch gar nicht dafür bedankt.
„Ist doch selbstverständlich. Wenn er nicht so kompliziert wäre, hätte ich den Weg durch das Mikrofon gebrüllt“, erwidert er.
Okay, los. Du hast nicht viel Zeit. „Wäre es für Sie in Ordnung, wenn ich unsere Flucht im ‚Magazin‘ schildere?“
Er sieht mich an. „Das war es, was Sie mich fragen wollten?“
Ich sehe ihn an und disponiere um: „Gibt es etwas anderes, was ich Sie fragen sollte? Gibt es Neues?“
Der Bürgermeister schüttelt den Kopf und sieht aus wie ein Seehund ohne Fisch. „Leider. Mir wäre wohler, wir wüssten, wer es war. Ich wundere mich nur … dass Sie mich fragen …“
„Journalistische Sorgfalt. Dankbarkeit. Suchen Sie sich etwas aus. Ich hab es irgendwie nicht als öffentlich betrachtet.“
Er runzelt die Stirn: „‚Angst im Blick des Bürgermeisters … gemeinsam taumeln wir die Stufen nach unten …‘ Wird das so etwas?“
Ich grinse. „Wäre ich dann da? Sie sollten Romane schreiben.“
„Vielleicht tue ich das, wenn ich in Pension gehe. Wissen Sie übrigens, dass mir Weis eine Art öffentliches Therapiegespräch angeboten hat?“
„Wie bitte?“
„Er hat gemeint, das wäre gut, um die negative Energie aus dem Rathaus zu bringen. Sie kennen ihn, oder? Er ist auf der Gala mit Ihnen an einem Tisch gesessen.“ Das Personengedächtnis des Bürgermeisters ist legendär. Wohl eine gute Voraussetzung für dieses Amt.
„Ich … kenne ihn nicht wirklich gut. Ich überarbeite ein Buch, das er herausbringen will … Ansonsten …“
Der Bürgermeister schweigt. Wenn jetzt schon Politiker schweigen …
„Werden Sie es machen? Dieses Therapiegespräch?“, frage ich. Ich muss es fragen, ich arbeite an einer Story.
Er schüttelt den Kopf. „Ist mir doch zu … abgehoben … wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Verstehe ich sehr gut“, sage ich eilig und wechsle das Thema: „Haben Sie einen Verdacht? Können Sie sich vorstellen, dass es
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