Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
angerufen?“
„Gerade erst ...“, sagt Dasch langsam, „ … nachdem Sie angerufen haben. Sie ist nicht dort. Ihre Eltern haben mich diesbezüglich noch nie angelogen.“
„Sie hatten Streit mit Ihrer Frau?“
Erst jetzt dämmert ihm, dass er nicht weiß, wer ich überhaupt bin. „Wer sind Sie? Eine Freundin von ihr, die mich zurechtweisen soll? Wo ist sie?“
Ich lächle. „Ich habe mit dem Weis.Zentrum zu tun.“ Ist ja nicht ganz gelogen.
Er runzelt die Stirn. „Mit dieser … Sekte?“
„Also Sekte ist das wirklich keine“, erwidere ich. Alles kann man Weis auch nicht unterstellen.
„Sie rennt dauernd dorthin zu ‚Lebensgesprächen‘, wie sie das nennt. Sie zahlt eine Menge Geld dafür. Sie kleidet sich weiß. Sie isst seltsamen Haferbrei und versucht mich zu überreden, es auch zu tun. Wie würden Sie so etwas nennen?“
„Na ja. Weis ist eine Art Guru. Das ist alles. Sie wird nicht gezwungen, dorthin zu gehen.“
„Er hat sie irgendwie mental im Griff.“
„Und darum ging es in Ihrem Streit?“, will ich wissen.
„Wer hat etwas von einem Streit gesagt?“, faucht er.
„Na Sie“, erwidere ich so lässig wie möglich. Ich darf den Bogen allerdings nicht überspannen. Ich habe nichts davon, wenn er mich rauswirft.
Dasch schweigt. „Ich wollte, dass sie mit mir für eine Woche wegfährt. Es ist eine geschäftliche Reise mit gesellschaftlichem Rahmenprogramm. Ich besitze ein Halbleiterunternehmen. Es geht um wichtige Kontakte. Dass die Zeiten nicht gerade einfach sind, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Früher war sie sehr gut in solchen Dingen … Sie hat gesagt, dass sie ein Intensivseminar habe samt Familienaufstellung, sie müsse endlich wissen, warum ihr Großvater getrunken habe und ihre Tante sechsmal verheiratet gewesen sei, sie glaubt, der Guru kann ihr das tatsächlich sagen, sie hat sich geweigert, dieses Seminar abzusagen …“
„Und dann ist sie gegangen“, ergänze ich.
„Nein, ich bin gegangen. Ich musste in die Firma. Sie ist dageblieben. Sie hat ja Zeit. Den ganzen Tag lang.“
„Sie hat nie einen Job gehabt?“, will ich wissen.
„Bis die Kinder gekommen sind, schon. Sie war Dolmetscherin. Das lässt sich nicht vereinbaren, Kinder und dauernd mit Dolmetschaufträgen unterwegs zu sein. Außerdem gibt es junge Französisch- und Spanisch-Dolmetscherinnen wie Sand am Meer. Sie musste nicht arbeiten.“
Ich nehme mein Mobiltelefon heraus, drücke die Bildarchivtaste. Halte ihm das Gerät hin. Bild von einem Teil eines ehemals weißen Turnschuhs. „Kennen Sie den Schuh?“, frage ich.
„Sind Sie von der Polizei?“, fragt er misstrauisch. „Weisen Sie sich aus! Oder sind Sie da, um mich zu erpressen?“
„Sie kennen den Schuh“, stelle ich fest.
„Nein! Das heißt: Es könnte der Teil eines Schuhs von Franziska sein. Sie hat dreihundert Euro dafür bezahlt, ich war wütend. Dreihundert Euro für Turnschuhe! Sie glaubt, das Geld wächst auf den Bäumen. Aber ich weiß nicht …“ Plötzlich scharf: „Wo haben Sie den Schuh gefunden?“
Ich schüttle den Kopf. Bevor ich ihm das sage, habe ich noch eine Frage. Ich starre in den rußigen kalten Kamin. Wie ein Bombenloch. „Warum war Ihre Frau auf der Literaturgala?“
„Was soll das jetzt wieder? Wir haben gesellschaftliche Verpflichtungen. Vor zwei Jahren war sie bei einem kreativen Schreibzirkel. Dumm nur, dass sie nie bei etwas bleiben kann. Ich hätte sie unterstützt, es finanziert, wenn sie ein Buch geschrieben hätte. Ich sage das nur, damit Sie sehen, dass ich sie immer unterstützt habe. Trotz allem. Aber bald darauf hat sie sich lieber mit Lachyoga beschäftigt. Mehr will ich dazu nicht sagen. Und jetzt eben dieser Guru.“
Vielleicht hatte sie sonst zu wenig zum Lachen, denke ich und sage: „Sie waren nicht mit auf der Gala, oder?“
„Was soll das? Bezichtigen Sie meine Frau, für die Bombendrohung verantwortlich zu sein? Ist es das, worauf Sie die ganze Zeit hinaus wollen? Dass sie deswegen verschwunden ist? Vergessen Sie es. Meine Frau ist vielleicht nicht immer ganz … ausgeglichen. Aber auch wenn sie zu diesem Guru rennt und seit Kurzem der Meinung ist, dass die Wirtschaftskrise nur dazu da ist, um allen eine neue mentale Chance zu geben, eine Attentäterin ist sie nie im Leben. Absurd. Warum sollte sie auch? Haben Sie sich das schon überlegt? Ihr geht es gut. Sie hat keinerlei Motiv!“
„Waren Sie doch dort?“
„Nein. Ich war ausreichend weit weg. Ich habe
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