Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
nicht ertragen“, faucht Weis.
„Sie war verliebt. Und dann hat sie gemerkt, dass Sie nur ein Scharlatan sind. Wer ist mit ihr zur Recyclinganlage gefahren? Sie hat Ihnen vertraut und Sie haben sie umgebracht!“, zischt Dasch.
Vesna sehe ich noch immer nicht. Ich drücke hektisch die Knöpfe meines Mobiltelefons. Ich mache ein paar Fotos, keine Ahnung, ob darauf etwas zu erkennen sein wird. Dann versuche ich mit dem integrierten Voice Recorder aufzunehmen, was die beiden sagen.
„Und Sie halten mich für so idiotisch, dass ich den Zettel auf den Schreibtisch lege, damit ihn diese nervtötende Journalistin findet?“
Damit meint Weis wohl mich.
„Wie könnten Sie besser von sich ablenken?“, kommt es von Dasch zurück.
„Sie lenken ab! Ich sorge dafür, dass meine Jüngerinnen besser leben! Kann es sein, dass Franziska noch rechtzeitig freiwillig verschwunden ist?“
Jetzt lacht Dasch. „Mit einem Schuh? Das sieht ihr nicht ähnlich. Und auch nicht, dass sie kein Geld abgehoben hat.“
„Vielleicht war ihr der Schuh nicht so wichtig, wie Sie glauben!“
Die beiden gehen aufeinander los. Einer muss gegen die Rebzeile gefallen sein, ein Krachen, ein Draht scheint gerissen zu sein.
„Was haben Sie mit Franziska gemacht?“, keucht Dasch.
Ich halte ihn für den Kräftigeren. Oder geht es um mentale Stärke?
„Lassen Sie mich los, lassen Sie mich sofort los“, kreischt Weis. Offenbar zählen, wenn es ums Eingemachte geht, doch die Muskeln.
Ich hebe den Kopf, versuche zu sehen, was Dasch mit Weis vorhat. Was kann ich tun? Was soll ich tun? Wo ist Vesna? Ich brauche bessere Fotos. Ich ducke mich und schleiche zum Windschutzgürtel, ganz nah bei Bäumen und Sträuchern kann ich den Hügel weiter hinauf, näher hin zu den beiden. Brennnesseln. Mira, das vergeht gleich. Stachlige Hecken. Ich ducke mich. Ich keuche. Ich schleiche näher. Etwas trifft mich auf den Rücken. Ich zucke zusammen. Ich stolpere. Ein Messer? Ein schwerer Gegenstand? Hat man mich nur verfehlt? War das Wortduell zwischen den beiden nur ein Scheingefecht? Stecken sie unter einer Decke und jetzt muss ich dran glauben? Vesna konnte rechtzeitig fliehen. Sie wird Hilfe holen, sicher. Ich muss mich stellen. Oder muss weg. Ich rapple mich auf, sehe gehetzt hinter mich. Da hockt Vesna, schüttelt wie irre den Kopf und hält einen Finger an ihre Lippen.
Trotzdem – ich sehe die beiden Männer jetzt aus einem besseren Winkel. Und näher. Weis hat Dasch offenbar abgeschüttelt. Sie scheinen zu lauschen. Ich halte den Atem an. Vesna hockt an einen Baum gedrückt da, als wolle sie mit ihm verschmelzen.
Und dann sagt Weis: „Sie können mich!“
Wenig guruhaft, finde ich.
Er eilt bergab, nimmt einen schmalen Pfad, der in Richtung Weis. Zentrum zu führen scheint. Dasch bleibt stehen. Dann atmet er hörbar aus und geht langsam den Hügel herunter. In unsere Richtung. Macht es Sinn, ihn jetzt mit dem zu konfrontieren, was wir gehört haben? Ich ducke mich im Gebüsch. Ich rieche die feuchte Erde. Grünes Gras. Und dann ist Dasch, nur drei Rebzeilen entfernt, an uns vorbei.
Wir sitzen am Rand des Weingartens im Gras, hinter uns den Windschutzgürtel. Ich habe Vesna von Anwalt Klein erzählt. Und Vesna hat erzählt, dass sie im Weingarten einen Schatten gesehen hat, so als ob nicht nur wir das Treffen der beiden hätten beobachten wollen. Polizei? Oder doch eine Täuschung? Mir ist niemand aufgefallen. Wir wissen nicht, was wir vom Treffen zwischen Weis und Dasch halten sollen. Es scheint, als hätten sie sich in erster Linie verabredet, um herauszufinden, wie viel der jeweils andere weiß. Dann kommt mir wieder der beunruhigende Gedanke: „Und was, wenn die beiden ihren Streit extra für uns inszeniert haben?“
Vesna schüttelt den Kopf. „Ist zu weit hergeholt, Mira Valensky. Meistens es gibt sie nicht, die großen Verschwörungen. Viel mehr passiert aus Dummheit oder aus Angst oder ist überhaupt nur Zufall.“
„Zufall war es jedenfalls keiner, dass die beiden einander im Weingarten getroffen haben“, murmle ich.
Das Gras wird feucht. Die Erde kühlt ab. Der Himmel wird dunkel.
Ich sitze vor dem Fernseher. Irgendeine amerikanische Krimiserie. Warum überwiegt in diesen neuen Krimiserien immer die Farbe Blau? Selbst die Gesichter sind blaustichig. Und das, hinter dem die schönen Helden und Heldinnen her sind, ist immer reichlich mysteriös. Flash. Rückblende. Ein blauer Boden mit bläulichem Blut. Flash. Rückblende vorbei.
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